Transkriptionen

Promemoria zur Verfassungsfrage, 28. Januar 1831 [Entwurf]. 

Promemoria 

Ewre königliche Hoheit haben gewiß seit Ihrer Anwesenheit in den hiesigen Provinzen schon die Gelegenheit gehabt durch sich selbst vieles zu sehen und zu hören; um jedoch den ganzen Zusammenhang der hiesigen Verhältniße aus einem richtigen Gesichtspunkte aufzufassen, ist vielleicht nothwendig bis auf den Ursprung derselben zurückzugehen und eine genaue Kenntniß der verschiedenen Umstände zu nehmen, die auf ihre Entwickelung gewirkt haben. 

Diese Länder waren vor 1794 glücklich; sie hatten ständische Verfassungen, die trotz ihrer Unvollkommenheiten ihnen die Bewilligung der jährlichen Abgaben und andere große Vorrechte zusicherten; jeder Mißbrauch der landesherrlichen Macht war unerhört und auch unmöglich und diese alten Rückerinnerungen begründen die Ansichten, die sie heute noch von einer guten Staatsverfassung haben.

Als nun im obgedachten Jahre 1794 die französischen Heere sich am Rhein festsetzten, waren zwar die größten Stürme der Revolution vorüber, der Geist dieser Revolution jedoch herrschte noch und groß sind allerdings die Unglücke, die einzelne Familien durch die rücksichtslose Aufhebung aller Vorrechte und des ganzen Feudal-Systems trafen; groß aber auch der auf einmal erreichte Zweck, nach welchem jetzt überall, und vorzüglich in Preußen, gestrebt wird.

Diese Zerstörungs-Periode dauerte bis zum Lüneviller Frieden 1802, wo diese Länder von Deutschland abgetreten und als französische Departemente an der repräsentativen Regierungsform des Staates ihren vollständigen Antheil nahmen. Sie erhielten ihre verhältnißmäßige Anzahl Abgeordnete zu dem gesetzgebenden Corps und ihre Senatoren, welche über alle Gegenstände der Gesetzgebung zu berathen, die jährlichen Abgaben und die Aushebung der Militärconscription zu bewilligen hatten. In jedem Departemente wurden noch andere Behörden eingeführt, durch welche der innere Haushalt geleitet oder controlliert wurde und so waren die Bewohner dieser Provinz im Besitz einer direkten und thätigen Einwirkung auf alle Angelegenheiten des Raats und des Departements. Ein neues Gesetzbuch hatte alle bürgerlichen Verhältniße geordnet, ein Theil des in der Zerstörungs-Periode begangenen Unrechts wurde wieder gut gemacht und die Gesellschaft stellte sich auf die neuen Grundpfeiler fest, auf welchen sie jetzt noch beruht.

In dem Laufe der 12 Jahre, welche unter diesen Institutionen verflossen, entwickelte sich die Gewohnheit alle Staatsanordnungen zu prüfen und ein auf Gleichheit aller Rechte und Stände gegründeter Geist, der heute noch den vorherrschenden Zug in dem Charakter der hiesigen Einwohner bildet.

Immerwährende Kriege jedoch, [während welchen der Wohlstand und die Industrie stets zunahmen], die [aber] die Kräfte des Staats auf das Äußerste gespannt und schon die Regierung gezwungen hatten, zu verzweifelten Maaßregeln zu greifen, erschöpften die Geduld.

Diese Länder sahen mit Vergnügen der Ankunft der verbündteten Heere entgegen und bald gab der Sturz Napoleons der Welt einen unwidersprechlichen Beweis der Schwäche einer Regierung, die keine Stütze mehr in der öffentlichen Meinung findet.

Hier fängt nun eine neue Epoche an, die für ganz Deutschland, Frankreich und Belgien eben wichtig ist. Sie wurde als die Befreyung der Völker von jedem inneren und äußeren Drucke verkündet und die feyerlichsten Verheißungen wurden von allen Fürsten gegeben. Auch wir erhielten die Zusicherung aller Rechte, die wir unter der französischen Regierung besaßen und am 22sten Mai 1815 versprachen Seine Majestät der König dem Preußischen Staate eine repräsentative Verfassung. Es schien zu jener Zeit in allen Cabineten die klare Ansicht zu herrschen, daß das kräftigste Mittel um die Staaten gegen neue Erschütterungen zu schützen, in zeitgemäßen Concessionen zu suchen sey. Der Augenblick dazu war günstig; die Völker würden sich mit allem begnügt haben und während den bereits verflossenen 15 Friedensjahren hätten diese neuen Institutionen die Zeit gehabt, sich auszubilden und sich zu befestigen.

Diejenigen also, welche die Fürsten beredet haben die gegebenen Verheissungen nicht zu erfüllen oder (wie in Frankreich) die bereits erfüllten in ihrem Geiste zu verfälschen, haben eine schwere Verantwortung übernommen.

Was uns betrifft, so ist nicht zu verkennen, daß die Preußische Regierung sehr vieles gethan hat, um uns für den Verlust aller der politischen Rechte, deren wir im Besitz waren, so weit wie nur möglich, schadlos zu halten. Sie hat uns unsere eignen Gesetze und manche eigne Einrichtung gelassen; die Einführung der Provinzial-Stände, [deren Attributionen übrigens kaum die eines früheren Departemental-Raths sind], hat der Provinz ein Organ für ihre Bedürfniße und Wünsche gegeben; zudem die anerkannte Rechtlichkeit der Regierung und vor allem das unumschränkte Zutrauen in die biedern und väterlichen Gesinnungen des Königs wirkten so kräftig, daß wir unsere Trennung von Frankreich als ein wahres Glück betrachtet haben.

Dieses Zutrauen ist auch nie getäuscht worden und trotz den Bemühungen einer Parthey, die einzig durch ihre Privat-Interesse und einige Vorurtheile geleitet ist, hat die Weisheit des Königs alle Intriguen vereitelt, durch welche die Ruhe und Eintracht hätte gestört werden können. Verläumdungen aller Art wurden verbreitet; auf unserem Provinzial-Landtage stellte sich stets der Düsseldorfer Adel in Widerspruch mit den offenbarsten Interessen des Landes und veranlaßte durch die unbesonnensten Äußerungen Widerstand und heftige Debatten, die man nachher zu benutzen suchte, um die Gesinnungen der Versammlung in ein ganz falsches Licht zu stellen. Unsere Gesetze und unsere Gerichts-Ordung, die die Anhänglichkeit der hiesigen Einwohner sowie der Beifall [aller] sehr vieler vernünftigen Männer gegen jeden Angriff schützen sollten, wurden stets bedroht und noch in diesem Frühjahre sah der Provinzial-Landtag sich genöthigt zu des Königs Majestät seine Zuflucht zu nehmen, um neuen Angriffen, die eine hohe Unterstützung gefunden zu haben schienen, zu begegnen.

So standen die hiesigen Verhältniße als durch die unerwarteten Ereigniße in Frankreich und Belgien die hohe Sendung Ewer Königlichen Hoheit als General-Gouverneur dieser Provinzen, veranlaßt wurde. 

Und wenn diese Ereignisse keinen Augenblick die Ruhe hier gestört, wenn nirgends sich der Wunsch einer Wiedervereinigung mit Frankreich [ausgesprochen hat] hat merken lassen, wenn man selbst ein ehrfurchtvolles Bedenken trägt die Verheißungen von 1815 in Erinnerung zu bringen, so ist es wahrlich nicht aus Gleichgültigkeit für Institutionen, die lange Jahre hindurch die unsrigen gewesen sind, sondern blos aus reinem Vertrauen in die liberalen Gesinnungen und die weisen Absichten des Königs.

Diese Absichten sind, in der That, durch zu viele bereits ergangene Verfügungen bewährt, die den Uebergang in Preußen zu einer repräsentativen Regierungs-Form vorbereitet [und eingeleitet] haben, als daß sie im geringsten zweifelhaft seyn könnten und Preußen ist selbst auf diesem Wege schon zu weit vorgerückt, um [weder zurücktreten] noch füglich still stehen zu können. Auch ist es gewiß der Wille des Königs mit der Entwicklung der zu einer neuen Staatsverfassung nöthigen Institutionen weiter zu schreiten und es kann nur die Frage erörtert werden, welchen Einfluß die jüngsten Begebenheiten im Auslande auf die Entschleunigung oder die Verzögerung der Einführung von Reichsständen haben sollen?

Die, welche für die Verzögerung sich aussprechen, sind zuerst alle die Feinde jeder liberalen Concession, welche also auch unter andern Umständen eben wenig geneigt seyn würden das Geringste nachzugeben und diese Leute, die sich den Fürsten als ihre treuesten Diener aufdringen sind leider ! ihre gefährlichsten Feinde.

Es sind aber auch einige redliche Männer, die, indem sie offenherzig bedauern, daß so mancher günstige Augenblick unbenutzt vorüber gegangen ist, dennoch der Meinung sind, daß unter den obwaltenden Verhältnißen keine Concession mit der Würde der Krone verträgliche sey! Diese Männer vergessen jedoch,

1°) daß in Preußen von keiner Concession die Rede ist, sondern blos von einem weiteren Fortschreiten auf dem bereits eingeschlagenen und mehr wie zur Hälfte zurückgelegten Wege der ständischen Vertretung des Landes.

2°) daß Preußen zwar in seinem Gange nichts übereilen will; daß aber Zeit und Umstände nothwendig einen Einfluß [darauf] haben müssen und daß, wenn die Nützlichkeit eines beschleunigten Ganges erwiesen ist, es keine Schwäche mehr, sondern Klugheit ist, geschwinder zu gehen.

3°) daß Preußen ehrfurchtsvoll auf die Bestimmung des Königs harret und daß sich nirgends noch die geringste anmaaßende Forderung ausgesprochen hat.

4°) daß, während Preußen [unentschlossen] wartet, andere Länder sich bewegen; daß dadurch alle relativen Verhältniße nothwendig sich ändern und daß es also ein Irrthum sey zu glauben, daß man auf diese Weise einen Status quo in Preußen erhalten könne.

5°) daß schon die Verfassung, welche z.B. im Jahre 1820 alle Wünsche würde befriedigt haben, jetzt wahrscheinlich nicht mehr dasselbe Resultat haben würde,

und endlich

6°) daß, angenommen selbst, daß der jetzige Augenblick der günstigste nicht sey, nichts jedoch die Gewißheit verbürgt, daß sich sobald ein günstigerer einstellen wird.

Die hingegen, welche von der Nothwendigkeit einer Beschleunigung überzeugt sind, (und hierhin gehören fast die neun Zehntheile der Mitglieder des Rheinischen Provinzial-Landtages,) haben alle Einreden erwogen, die man aus der Verschiedenheit der einzelnen Bestandtheile der Monarchie gegen die Bildung einer Reichsständischen Versammlung schöpfen will; sie haben sich aber auch überzeugt 

1°) daß gerade die Bildung der Reichsstände das kräftigste Mittel seyn wird, um diese schädlichen Verschiedenheiten aus dem Wege zu räumen und die blos agglomerirten Theile der Monarchie in ein Ganzes zu verschmelzen.

2°) daß namentlich die Rheinprovinzen durch kein anderes Band fester an Preußen geknüpft werden können.

3°) daß eine repräsentative Reichsverfassung heutzutage durch die ganze Kraft des Zeitgeistes unterstützt ist.

4°) daß die Macht von Frankreich und der Einfluß, den es auf seine Nachbaren ausübt, [einzig] in seinen liberalen Institutionen besteht.

5°) daß Preußen sich dieselbe Macht und denselben Einfluß ver schaffen kann;

6°) daß in Deutschland [schon] fast alle kleinere Staaten zur repräsentativen Regierungs-Form übergegangen sind und daß es von Preußen abhängt sich an ihre Spitze zu stellen.

[7°) daß die Zeit vielleicht nicht ferne ist damit sich bringen wird, daß Europa, in constitutionelle und absolute Staaten getheilt, feindfertig gegeneinander stehen wird und daß der Ausgang dieses großen Kampfes nur zum Nachtheil der absoluten Staaten ausfallen kann;]

7°) daß die Zeit nicht ferne ist, wo die Verschiedenheit oder die Ähnlichkeit der Verfassungen die Staaten am kräftigsten verbinden oder trennen wird.

8°) daß die Theilung Deutschlandes in katholische und evangelische Länder bald durch die in absolute und representative [Staaten] Regierungen ersetzt seyn wird; und

9°) daß endlich der König sich durch die Verleihung einer [neuen] zeitgemäßen Staats-Verfassung einen unsterblichen Ruhm erwerben und seine Staaten gegen künftige [fast unvermeidlich,] Erschütterungen sichern wird. 

Diese Ansichten, die auf einer innigen Ueberzeugung beruhen und die ich mit der Mehrzahl der Abgeordneten zum Rheinischen Provinzial-Landtage sowie mit vielen dem Könige treu ergebenen Männern theile, habe ich mich für verpflichtet gehalten Ewer Königlichen Hoheit zu eröffnen. Höchstdieselbe werden sich leicht überzeugen, daß diese Provinzen einen lebhaften Antheil an Betrachtungen nehmen, die mit der Wohlfahrt des Staates und ihrer eigenen in enger Verbindung stehen. Geruhen Ewre Königliche Hoheit sie einiger Aufmerksamkeit zu würdigen. 

Anmerkung: Alle Abschnitte in eckigen Klammern sind im Original gestrichen.  
 

Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 519, 267-276.

Vgl. Jakob Bremer, Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck der Grafen jetzigen Fürsten zu Salm-Reifferscheidt, Grevenbroich 1959, 235-240.

Empfohlene Zitierweise
Elisabeth Schläwe, Transkription: Promemoria zur Verfassungsfrage, 28. Januar 1831 [Entwurf], aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Promemoria (Entwurf), 1831 (Datum des letzten Besuchs).