Bewirtschaftung des Roisdorfer Mineralbrunnens
Florian Schönfuß
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Mit dem Erwerb der kurkölnischen Unterherrschaft Alfter, gelegen etwa auf halber Strecke zwischen Köln und Bonn, hatten die Grafen zu Salm anno 1435 den bereits seit der Römerzeit lokal genutzten Mineralbrunnen zu Roisdorf an sich gebracht. Dieser deckte seit Mitte des 17. Jahrhunderts die Eigenversorgung der Schlösser Alfter und Dyck mit hochwertigem Tafelwasser, während sich die örtliche Bevölkerung, von den Grafen geduldet, ebenfalls aus dem Brunnen bediente – eine Tradition, die im Übrigen trotz industrieller Abschöpfung und Vermarktung des Roisdorfer Wassers bis heute besteht. [1]
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Aus dem Mineralbrunnen Kapital zu schlagen, bemühte sich das Haus Salm-Reifferscheidt-Dyck jedoch erst unter Altgraf Johann Franz Wilhelm (1714–1775). Hierzu mochte die zeitgenössische Blüte des Geschäfts mit "heilsamen Wässern" sowie der Bäderkultur im Allgemeinen Anlass gegeben haben. Mancher Reichsfürst steigerte seine Einnahmen und sein Prestige durch in landesherrlicher Regiewirtschaft betriebene Mineralquellen und Heilbäder. Mit der kurtrierischen Seltersquelle, dem nassau-oranischen Fachingen und zuvorderst der nahen kurkölnischen Godesberger Quelle waren regionale Vorbilder vorhanden, die im weiteren Verlauf zu den größten Konkurrenten des Roisdorfer Wassers werden sollten. [2] Das dessen Vorzüge lobpreisende "wissenschaftliche" Gutachten des Dycker Untertanen und Duisburger Medizinstudenten Franz Wilhelm Kauhlen, womöglich im Auftrage des Altgrafen angefertigt, [3] gab 1774 quasi den Startschuss zur Vermarktung.
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Von einer Bewirtschaftung in Eigenregie nahm der alternde Johann Franz Wilhelm jedoch Abstand. Stattdessen verpachtete er den Brunnen auf zwölf Jahre an den Vogteiverwalter Püllen und den Lehnsschöffen Knappertz, denen es während der Regentschaft der Gräfin Witwe Maria Augusta gelang, einen rentablen Brunnenbetrieb samt grenzübergreifendem Versandgeschäft, Gastwirtschaft und ersten Kurgästen aufzubauen. Dies erregte schon bald den Argwohn der Konkurrenten in Niederselters, die den Roisdorfer Pächtern "Produktpiraterie" vorwarfen. Wasserkrüge mit der Aufschrift "SALFTERS" – für Salm-Alfterscher Sauerbrunn –, die bis in die 1830er Jahre verwendet wurden, trugen nicht unerheblich zu diesen Anschuldigungen bei. [4] Auch der von seiner Tönissteiner Quelle enttäuschte Kölner Kurfürst Max Franz bemühte sich von seinem angrenzenden Territorium aus, das Alfterer Wasser "anzuzapfen", ohne dass ihm dabei größerer Erfolg beschieden gewesen wäre. Reichsgräfin Maria Augusta hatte ihre Ansprüche durch Einholung von Rechtsgutachten offenbar erfolgreich untermauert. [5]
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Die Zeit der französischen Herrschaft brachte die Auflösung der Herrlichkeit Alfter, doch vermochte Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck sowohl Schloss Alfter als auch den Mineralbrunnen in Eigenbesitz zu halten. Beide waren seit 1787 an die späterhin berühmte Familie Mühlens (Erzeuger des "Kölnisch Wasser 4711") verpachtet. [6] Franz Jakob Mühlens optimierte den Betrieb weiter, nicht zuletzt durch Erweiterung um eine eigene Krugtöpferei. Doch belasteten die Kriegswirren und die Kontinentalsperre den Absatz offenbar zu stark. Erst in preußischer Zeit setzte wieder eine intensivere Bewirtschaftung ein. Es blieb bei der Verpachtung an wechselnde Pächter, die aufgrund mangelnden Investitionskapitals und der weiter erstarkenden Konkurrenz aus Niederselters keinen leichten Stand hatten. Fürst Joseph hatte an einem Betrieb in Eigenregie offenbar noch immer kein Interesse, doch genauso wenig beabsichtigte er, den wenig rentablen Brunnen zu veräußern.
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Er ließ sich von seinen Rentmeistern allerdings ausführlich über die Lage vor Ort berichten. Aus seinen regelmäßigen Korrespondenzen mit dem Alfterer Rentmeister Carl Mosler erfahren wir beispielsweise von den finanziellen Schwierigkeiten des Brunnenpächters Koch, dem Salm-Dyck, gegen den Rat Moslers, immer wieder Zahlungsaufschübe und -erlasse gewährte. [7] Die Pachterträge fielen über Jahre hinweg dementsprechend gering aus. Moslers Schilderungen für die Jahre 1835 bis 1837 vermitteln ein recht heruntergekommenes Bild der Brunnenanlagen und rücken auch ihren Pächter in kein gutes Licht. [8] Ob es sich dabei um eine gezielte Diffamierung Kochs handelte, bleibe dahingestellt. In jedem Fall unterstreichen die Korrespondenzen die einflussreiche Position des Rentmeisters Mosler, der auch Kochs Schulden bei einem gewissen Gerhard Freiherr von Carnap immer wieder herausstellte. [9] Von dessen unternehmerischem "Sachverstand" setzte er seinen fürstlichen Herrn ebenfalls sogleich ins Bild. [10]
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Gerhard von Carnap zeigte denn auch großes Interesse an der Anpachtung des Roisdorfer Brunnens [11] und erhielt von Salm-Dyck schließlich den Zuschlag. Der aus Barmen stammende von Carnap war in der Region im Besitz mehrerer Rittergüter, wirkte als lokaler Bürgermeister, später als Vorsitzender des "Landwirtschaftlichen Centralvereins für Rheinpreußen" und nicht zuletzt als Abgeordneter der Ritterschaft auf dem rheinischen Provinziallandtag, dem er zeitweilig vorstand. Mit ihm hatte Fürst Joseph also einen politisch einflussreichen Standesgenossen zum Pächter genommen – und sich diesen dadurch womöglich weiter verpflichtet. Unter von Carnaps Regie entwickelte sich das Mineralwassergeschäft zunächst prächtig; der Versand reichte bis nach Übersee. Der unter großen Investitionen vollzogene Einstieg ins Kurgeschäft rechnete sich jedoch nach einigen ersten Erfolgen – zu den Gästen zählte auch Kronprinz Friedrich Wilhelm – nicht mehr. [12] Prominentere Kur- und Badeorte liefen dem schlichten, wiewohl mittlerweile an die "Cöln-Bonner Eisenbahn" angeschlossenen Roisdorf schon bald den Rang ab. Um 1860 war von Carnap bankrott. Nach dieser Episode lag der Brunnenbetrieb zunächst weitgehend brach. Erst nachdem Fürst Josephs Neffe und Erbe Alfred den Brunnen 1876 an den Apotheker Wilhelm Custor abtrat, setzte ein erneuter Aufstieg des Unternehmens und schließlich die Entwicklung hin zu einem modernen Industriebetrieb ein.
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Sieben Jahrzehnte lang bewahrte Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck den Besitzstand des Roisdorfer Mineralbrunnens für seine Familie. Eine Eigenbewirtschaftung als "adliger Unternehmer", [13] die unter Einsatz ausreichenden Investitionskapitals und seines fürstlichen Prestiges sicher erfolgversprechend gewesen wäre, hat Salm-Dyck offenbar nie in Erwägung gezogen. Ob er ein solches Engagement mit seiner Standesehre für unvereinbar hielt, [14] es ihm schlicht an Zeit, Kraft und Muße mangelte oder aber seine Rentmeister einen entsprechenden Einfluss ausübten, ist schwer zu beurteilen. Dass Letztere jedoch gegenüber dem Fürsten eine starke Position einnahmen, erhellt auch aus den Überlieferungen rund um den Roisdorfer Brunnen. Insgesamt betrachtet fügt sich der Umgang mit dem Brunnenbesitz in die betriebswirtschaftlich suboptimale, dafür aber durch hohe Planbarkeit der Einnahmen gekennzeichnete Renten- und Pachtwirtschaft des Dycker Fürsten.
Anmerkungen
[1] Zur Geschichte des Roisdorfer Brunnens siehe grundlegend Lars Winterberg: Wasser – Alltagsgetränk, Prestigeprodukt, Mangelware. Zur kulturellen Bedeutung des Wasserkonsums in der Region Bonn im 19. und 20. Jahrhundert (= Bonner kleine Reihe zur Alltagskultur 9), Münster / New York / München / Berlin 2007, 146ff. Etliche weitere Informationen bietet die einschlägige Webseite der Roisdorfer Heimatfreunde: http://www.heimatfreunde-roisdorf.com/geschichte/der-roisdorfer-brunnen/index.html, (04.05.2022).
[2] Winterberg: Wasser (wie Anm. 1), 155f.
[3] Winterberg: Wasser (wie Anm. 1), 148.
[4] Winterberg: Wasser (wie Anm. 1), 155f.
[5] Winterberg: Wasser (wie Anm. 1), 148.
[6] Winterberg: Wasser (wie Anm. 1), 153.
[7] Briefe Carl Moslers an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, 1835–1844. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/38.
[8] So Mosler an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Köln, 9. Juli 1835. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/38; oder auch Mosler an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Köln, 31. Dezember 1836. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/38. Kochs offensichtliche Beschönigungen der Lage reichen dazu jedoch ebenso wenig hin. Vgl. Friedrich Koch an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, jeweils Roisdorf, 31. Oktober 1830, 21. Juli 1835, 15. Juli 1836, sowie 19. Juli 1836. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 6/62.
[9] Mosler an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Köln, 13. Juli 1836. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/38; sowie Mosler an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Köln, 23. August 1836. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/38.
[10] Mosler an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Köln, 23. Juni 1836. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/38.
[11] Mosler an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Köln, 23. Juni 1836. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/38.
[12] Winterberg: Wasser (wie Anm. 1), 151.
[13] Zahlreiche, zum Teil regionale Beispiele adligen Unternehmertums nicht nur für diese Periode bei Manfred Rasch / Toni Pierenkemper / Norbert Reimann (Hg.): Adel als Unternehmer im bürgerlichen Zeitalter. Tagungsband zur gleichnamigen Veranstaltung vom 28.-30. Juli 2004 in Bad Driburg, Münster 2006.
[14] Vgl. zum Verhältnis von adliger Standesehre und Unternehmertum grundlegend Fritz Redlich: Europäische Aristokratie und wirtschaftliche Entwicklung, in: ders.: Der Unternehmer. Wirtschafts- und Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1964, 280-298.
Empfohlene Zitierweise
Florian Schönfuß, Bewirtschaftung des Roisdorfer Mineralbrunnens, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Mineralbrunnen (Datum des letzten Besuchs).