Die Kindheit des Grafen

Elisabeth Schläwe

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Über die frühen Kindheitsjahre auf Schloss Dyck ist wenig bekannt. Wie Margit Sachse vermutet, wird es mit drei kleinen Kindern [1] recht lebhaft zugegangen sein. Zu deren Erziehung waren zunächst eine Kinderfrau und eine Gouvernante angestellt, später übernahm diese Aufgabe ein Hauslehrer. [2] Nachhaltig geprägt wurde das Leben aller drei Kinder durch den Tod des Vaters im Jahre 1775, der noch vor der Geburt seines zweiten Sohnes Franz im Alter von 61 Jahren verstorben war. Somit fehlte den Kindern und vor allem dem Erstgeborenen und Stammhalter Joseph der Vater als Vorbild.

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Nach dem Tod des Vaters konnte das Haus allein nicht mehr für eine standesgemäße Ausbildung sorgen. Daher schickte Regentin Maria Augusta ihre Kinder zum Schulbesuch nach Köln. Für die Stadt sprachen nicht nur ihr Status als Universitätsstadt, die traditionell engen Beziehungen des Grafenhauses zur Reichsstadt und der gute Ruf des dortigen Jesuitenkollegs, sondern auch die Nähe zu Dyck und der ebenfalls im Besitz der Familie befindlichen kurkölnischen Unterherrschaft Alfter. [3] Außerdem besaß man ein Haus in der Trankgasse, den "Salmschen Hof", in dem die Mutter sich oft aufhielt und der ihren Söhnen späterhin auch als Repräsentationsort diente.

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Ab 1780 verbrachte Joseph mit seinem jüngeren Bruder Franz und Hofmeister Johann Franz Bell fünf Jahre in Köln. Dort besuchten die Brüder zunächst das Xaverianum und später das Gymnasium Tricoronatum. Aus dieser Zeit stammen zwei Rechnungen, welche Joseph selbst aufgestellt hatte, um darin festzuhalten, wofür er sein Taschengeld ausgegeben hatte. Die erste Rechnung datiert aus dem Jahr 1784:

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Rechnung über die Außgab des von meiner theuresten Maman zum Present erhaltenen Geldes.


 
Rh [4] Stbr [5] Hllr [6]
Den 1ten Januar 1784 empfangen 1 Carolin 7 40
Den 14ten April noch eine Carolin 7 40  
Summa 15 20  


Außgab Geld.

  Rh Stbr Hllr

Bey Begleitung der Mamman in der
Procession aus St. Lupus
[7] an die Armen ausgetheilt

  50  

Vor und nach 10 rothe Bleistift per

Stück 1 ½ Stbr

  35  
Für meinen Stock 3 30  
Für das Stockband   24  
Für zwölf Kupferstich zum Nachzeichnen 1

55

 
Überhaubt an die Armen gegeben   30  
Ein Räthselbuch zum Zeitvertreib   10  
Für ein Sackmesser   13  
Summa aller Ausgab 8 7  
Ubergeblieben 7 40  


Die Rechner in künftiger Rechnung zu berechnen hatt
Joseph Salm Dyck[8]

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Diese Rechnung ist eines der wenigen Ego-Dokumente, die einen Einblick in die Kindheit Salm-Dycks jenseits der Kavalierstour geben. Der Zehnjährige hält darin gewissenhaft fest, wofür er das von seiner Mutter erhaltene Geld ausgegeben hat. Bemerkenswert ist dabei nicht nur die ordentliche, fast schon akribische, Ausführung, sondern auch die weite Spannbreite der notierten Ausgaben. Zum einen sind es Dinge, in die wohl auch heute noch ein Zehnjähriger sein Taschengeld investieren würde, wie zum Beispiel das Sack- bzw. Taschenmesser oder ein Rätselbuch. Zum anderen spiegelt die Aufstellung auch die zeitgenössische Praxis adliger Armenfürsorge wider, insbesondere nach dem Messbesuch Almosen an die Armen auszuteilen. In Begleitung seiner Mutter übernahm der junge Graf diese Tätigkeit offenbar bereits im Knabenalter.

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Die zweite Rechnung aus dem Jahr 1785 unterstreicht die weitgefächerten Ausgaben. Hier finden sich Lernmittel wie ein "Dixionarium", ein "lateinischesBuch", aber auch praktische Utensilien wie ein "Tintenfass". Joseph investierte sein Taschengeld ebenfalls in Süßigkeiten, wie zum Beispiel in Schokolade, "2 Pfund Pfeigen", "Haselnüsse" oder er gab es zu seiner Unterhaltung und Bildung aus, wie jene 14 Stüber "für die Thiere sehen zu gehen". [9] Auch in dieser Rechnung fehlen die Almosen für die Armen nicht, die mit drei Reichstalern den höchsten Posten ausmachen.

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Welchen Eindruck vermitteln diese beiden von ihm selbst ausgestellten Rechnungen vom jungen Grafen und Erben? Die Ausführung der Rechnungen lässt auf einen äußerst gewissenhaften, "ordentlichen" Jungen schließen. Außerdem mutet er aufgrund der Anschaffung des lateinischen Buchs oder auch des Wörterbuchs, wohlgemerkt außerhalb des Unterrichts, sehr wissbegierig und zielstrebig an – Eigenschaften, die ihm sicher auch mit Blick auf seine spätere wissenschaftliche Karriere zugutekamen. Unklar bleibt, ob er lediglich die Rechnungsführung des Hofmeisters nachahmte oder ob man ihn durch spielerisches Lernen auf seine späteren Herrschaftsaufgaben gezielt vorzubereiten versuchte. In gewisser Weise vergleichbar wäre dies mit den Reiseberichten zur Vertiefung seiner geographischen Kenntnisse, die er während der Kavalierstour aus Brüssel an seine Mutter schickte.

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Bis zu seinem elften Lebensjahr blieb Joseph zusammen mit seinem Bruder Franz in Köln. Im Sommer 1785 brachen die Brüder mit ihrem neuen Hofmeister Abbé Jacob zu ihrer Kavalierstour auf, die sie nach Brüssel, Paris und Wien führen sollte. [10]
 

Anmerkungen

[1] Joseph wurde am 4. September 1773, seine Schwester Walburga ein knappes Jahr später am 13. August 1774 geboren. Franz kam als Halbwaise am 16. Oktober 1775 zur Welt.

[2] Margit Sachse: Als in Dyck Kakteen blühten... Leben und Werk des Dycker Schlossherrn Joseph Altgraf und Fürst zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Pulheim 2005, 44.

[3] Vgl. Sachse: Als in Dyck Kakteen blühten (wie Anm. 2), 44f.

[4] Reichsthaler

[5] Stüber

[6] Heller

[7] Die Kirche St. Lupus befand sich in unmittelbarer Nähe zum Salm'schen Hof in der Trankgasse. Vgl. Sachse: Als in Dyck Kakteen blühten (wie Anm. 2), 41.

[8] Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck an Altgräfin Maria Augusta, Köln, 1784. In: Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 577, 85.

[9] Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck an Altgräfin Maria Augusta, Köln, 6. März 1785. In: Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 577, 87.

[10] Zur Kavalierstour der Brüder Salm-Reifferscheidt vgl. Heinke Wunderlich: Studienjahre der Grafen Salm-Reifferscheidt (1780—1791). Ein Beitrag zur Adelserziehung am Ende des Ancien Régime, Heidelberg 1984.

Empfohlene Zitierweise
Elisabeth Schläwe, Die Kindheit des Grafen, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Kindheit (Datum des letzten Besuchs).