Bernd Klesmann
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Josephs Familie war seit Jahrhunderten eng mit Kurköln verbunden, seine Großmutter Eleonore war die Schwester des Kölner Kurfürsten Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels (1708–1784, Kurfürst seit 1761). [1] Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder wohnte Joseph von 1780 bis 1785 im früheren Kölner Jesuitenkolleg, dem sogenannten Xaverianum, und erhielt im dazugehörigen Gymnasium Tricoronatum Unterricht nach traditioneller Studienordnung unter den Leitbegriffen "Tugend und Frömmigkeit". [2] Trotz der päpstlichen Aufhebung des Ordens 1773 waren die Lehrer des Kollegs zum größten Teil vor Ort geblieben. Sie setzten ihre Arbeit ohne konkrete Veränderungen fort. Der heranwachsende Altgraf wird also auch jenseits der Familie eingehende Bekanntschaft mit verschiedenen Formen traditioneller Glaubenspraxis gemacht haben.
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Eine gewisse Veränderung ergab sich 1785, als Joseph und sein Bruder unter der Aufsicht eines gewissen Abbé Jacob ihre Kavalierstour antraten, die sie nach Brüssel und Paris sowie schließlich nach Wien führen sollte. Verschiedene Äußerungen dieses geistlichen Hofmeisters lassen vermuten, dass nunmehr ein eher 'liberaler' Zugang zur religiösen Unterweisung im Sinne der zeitgenössischen Aufklärungspublizistik gesucht wurde. So schrieb Abbé Jacob beispielsweise Ende 1787 aus der französischen Hauptstadt, dass eine allgemeine Aufhebung der Ordensgelübde durchaus im gesellschaftlichen Interesse liegen könne. [3] Im folgenden Frühjahr teilte er eher beiläufig mit, dass er die strengen Ernährungsvorschriften der Fastenzeit, wie sie in Paris üblich seien, für gesundheitsschädlich halte und sich daher für sich und vor allem für seine Zöglinge weitgehend davon habe dispensieren lassen. [4]
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Die siegreichen Revolutionsheere, die im Oktober 1794 das Rheinland und auch die Herrschaft Dyck besetzten, fanden womöglich bereits einen Gutsherrn vor, der den antiklerikalen Entwicklungen in Frankreich aufgeschlossen gegenüberstand. Joseph, der unter anderen die Generäle Bernadotte, Kléber und Lefèbvre persönlich auf Schloss Dyck empfangen haben soll, [5] wird in den Jahren bis 1814/15 Gelegenheit gehabt haben, nicht zuletzt im Zuge seiner mehrfachen Aufenthalte in Paris, ein Leben jenseits kirchlicher Orthodoxie kennenzulernen. Die Ehe mit Constance de Salm, der "muse de la raison", öffnete ihm endgültig die Türen zu den Pariser Salons und den im Zuge der Revolution neu organisierten Akademien. [6]
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Ein besonderes Schlaglicht auf die Krise der traditionellen Religiosität wirft die Geschichte des Nikolausklosters in unmittelbarer Nähe des Schlosses Dyck. Seit dem 15. Jahrhundert beherbergten die Klostermauern nicht nur eine Niederlassung von Franziskaner-Tertiariern, sondern auch die Grablege der Herren auf Dyck. Nach Ankunft der französischen Armee erfolgte die Auflösung des Klosters, das 1794 offenbar als Militärquartier diente und nach 1802 zeitweise von der neu gegründeten Ehrenlegion genutzt wurde. Im Frühjahr 1806 kaufte Salm-Dyck das Gebäude samt Umland zurück, [7] ließ das frühere Kloster jedoch als Lager für den landwirtschaftlichen Betrieb nutzen. [8]
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Josephs Mitgliedschaft in verschiedenen Freimaurerlogen, sein fehlendes Interesse etwa für die Erhaltung der Michaelskapelle usw. lassen eine gewisse Distanz zur Kirchenorganisation seiner Zeit erkennen. Ein Wendepunkt ergab sich möglicherweise aus den Kölner Wirren ab 1837, [9] als sich im Rheinland ein politischer Katholizismus zu formieren begann, konkret jedoch wohl erst im hohen Alter. Zwei Jahre vor seinem Tod ließ er in der Kirche des ehemaligen Nikolausklosters eine neue Gruft anlegen, in der er 1861 seine letzte Ruhe finden sollte. [10]
Anmerkungen
[1] Zur Genealogie vgl. u.a. Anton Fahne: Geschichte der Grafen, jetzigen Fürsten zu Salm-Reifferscheidt, sowie ihrer Länder und Sitze nebst Genealogie derjenigen Familien, aus denen sie ihre Frauen genommen, Bd. 1.2, Köln 1866, 99.
[2] Margit Sachse: Als in Dyck Kakteen blühten... Leben und Werk des Dycker Schlossherrn Joseph Altgraf und Fürst zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773–1861), Pulheim 2005, 45, zitiert aus der zeitgenössischen Satzung des Kollegs. Auch der erwähnte Kurfürst und Großonkel hatte zeitweise am Kölner Jesuitenkolleg studiert. Vgl. Günter Christ: Art. 'Maximilian Friedrich Graf von Königsegg-Rothenfels', in: Neue Deutsche Biographie 16 (1990), 500-502, online unter: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0001/bsb00016334/images/index.html?id=00016334&nativeno=500 (02.07.2013).
[3] Abbé Jacob an Augusta Maria zu Truchseß-Zeil-Wurzach, Paris, 18. Dezember 1787, zitiert nach: Heinke Wunderlich: Studienjahre der Grafen Salm-Reifferscheidt (1780–1791). Ein Beitrag zur Adelserziehung am Ende des Ancien Régime, Heidelberg 1984, 292.
[4] Abbé Jacob an Augusta Maria zu Truchseß-Zeil-Wurzach, Paris, 20. Februar 1788, zitiert nach: Wunderlich: Studienjahre (wie Anm. 3), 296f.
[5] Sachse: Kakteen (wie Anm. 2), 68, 71.
[6] Heinke Wunderlich: Il était une fois... Es war einmal... Eine rheinländisch-französische Geschichte, in: Das achtzehnte Jahrhundert. Facetten einer Epoche. Festschrift für Rainer Gruenter, hg. von Wolfgang Adam, Heidelberg 1988, 119-136.
[7] Sachse: Kakteen (wie Anm. 2), 40f.
[8] Karl Emsbach: Tod in Nizza. Zum Ableben von Fürst und Altgraf Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, in: Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2013, 74-81, hier: 80.
[9] Sachse: Kakteen (wie Anm. 2), 145-149.
[10] Emsbach: Tod in Nizza (wie Anm. 8), 80.