Generation 1773 – Ein Seitenblick auf Fürst Metternich

Bernd Klesmann

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Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773–1861) und Fürst Clemens Wenzel von Metternich (1773–1859) waren Altersgenossen, ihre Lebenswege verliefen jedoch recht unterschiedlich. 1773 kamen beide im Rheinland zur Welt, hineingeboren in gräfliche Häuser des Alten Reiches. Beide Familien standen in einem privilegierten Dienstverhältnis zu verschiedenen Kurfürsten: Während die Metternich in Koblenz, der Residenz des Kurfürstentums Trier, ein Stadtpalais bewohnten und verschiedene Ämter und Würden am dortigen erzbischöflichen Hof bekleideten, hatten die Salm-Reifferscheidt über die ererbte kurkölnische Herrschaft Alfter das Amt des Erbmarschalls des Kurfürsten von Köln inne. Sigismund (1755–1798), ein Cousin Josephs aus der älteren Linie der Salm-Reifferscheidt, wurde 1784 Obersthofmeister (eine Art Premierminister) des Kölner Kurfürsten. [1]

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Die politischen Verhältnisse im Ancien Régime spiegeln sich in den Vornamen, die den jungen Grafen gegeben wurden: Clemens Wenzel von Metternich wurde nach dem aus Sachsen stammenden Kurfürsten Clemens Wenzeslaus von Trier benannt. [2] Für Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck ist eine Orientierung am Kaiserhaus wahrscheinlich, dessen Oberhaupt seit 1765 Joseph II. war. Dass die Habsburger gerade auch mit Blick auf die limburgischen Besitzungen des Hauses Salm-Reifferscheidt wichtige Bezugspersonen des niederrheinischen Grafengeschlechts waren, spricht zusätzlich für die Wahl eines Vornamens, der in der Familie zuvor kaum präsent gewesen war.

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Die Erziehung der jungen Grafen lag in beiden Fällen überwiegend in den Händen verschiedener Geistlicher. Wie Metternich in seiner aus dem Nachlass veröffentlichten Autobiographie schilderte, erschien ihm die Erziehung durch seinen ab 1787 waltenden "précepteur ecclésiastique" als willkommener Widerpart zu den "Verirrungen" des vorherigen, "jacobinisch" gesinnten Hauslehrers Johann Friedrich Simon (1751–1829), der zeitweise im Dessauer Philanthropinum gewirkt hatte. [3] Während die jungen Grafen zu Salm-Reifferscheidt-Dyck mit ihrem ebenfalls geistlichen Hofmeister knapp zwei Jahre in Paris verbrachten, lernte der junge Metternich Frankreich zunächst nur in Straßburg kennen, wo er die Universität und Diplomatenschule besuchte. [4]

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In der Historiographie wurden die beiden Adligen in Ansehung ihrer politischen Sympathien bisher sehr unterschiedlich charakterisiert. Friedrich Hartau bezeichnet Metternich in seiner Biographie von 1977 sehr pointiert als einen "von oben" deformierten "Milieu-Geschädigte[n]", [5] während Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck der aktuellen Forschung als tendenziell liberaler Politiker und als den Entwicklungen seiner Zeit gegenüber aufgeschlossener Wissenschaftler gilt.

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Das Familienleben der beiden Grafen und späteren Fürsten war nicht frei von Turbulenzen. Seit 1949 bekannte Briefe Metternichs an seine erste Frau Maria Eleonore von Kaunitz-Rietberg vermitteln immerhin den Eindruck emotionaler Nähe, wobei die verschiedenen Liebesaffären des unterhaltsamen Diplomaten schon damals allgemein bekannt waren. [6] Wie Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck hatte auch Metternich eine Dame aus gräflichem Hause geheiratet und bewegte sich somit, nicht zuletzt karrieretechnisch (seine erste Frau war die Enkelin des Staatskanzlers Kaunitz), im Rahmen der Gepflogenheiten seiner Zeit.

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Endgültig verschiedene Wege beschritten die beiden Zeitgenossen wohl erst in der Auseinandersetzung mit dem Jahrhundertereignis der Französischen Revolution. Während Metternich in Brüssel, wo sein Vater der kaiserlichen Regierung vorstand, bald darauf auch in Koblenz und Mainz mit den aus Frankreich geflohenen émigrés verkehrte, suchte Joseph von Anfang an konsequent die Nähe zu den Eliten der Republik.

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Die Schriften beider könnten unterschiedlicher kaum sein: Während Metternich als leitender Staatsmann in seiner Korrespondenz und seinen posthum erschienenen Lebenserinnerungen eine Fülle von Überlegungen zur europäischen Politik hinterließ, konzentrierte sich Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck auf sein wissenschaftliches Œuvre als Botaniker. Sein Hauptwerk, der Hortus Dyckensis, erschien in Deutsch und Französisch, im Interesse der internationalen scientific community seiner Zeit sogar auch in lateinischer Sprache. Im Vorwort erwähnt der Autor ausdrücklich die Bedeutung der ehemals kurfürstlichen botanischen Sammlungen von Bonn und Brühl, die er wegen drohenden Verfalls in Dyck aufnahm. [7] So bildete auch in diesem Bereich die Kultur des Ancien Régime vielleicht die entscheidende Grundlage für sein pflanzenkundliches Werk.

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Eine lebenslange Prägung durch die französische Kultur, deren Nähe von beiden immer wieder gesucht wurde, ist durch alle Wechselfälle der politischen Konjunkturen erkennbar. So steht in der Rückschau das geschickte Lavieren Salm-Reifferscheidt-Dycks zwischen Republik, Empire und preußischem Königtum vielleicht gar nicht so fern von der Diplomatie des geduldigen Hinhaltens und Abwartens, für die Metternich im Europa seiner Zeit bekannt war. [8]
 

Anmerkungen

[1] Vgl. Detlev Schwennicke: Europäische Stammtafeln. Neue Folge, Bd. XXIX, Zwischen Maas und Rhein 5, Frankfurt a. M. 2013, Tafeln 138-143. Zu Josephs Cousin (dritten Grades) Sigismund, Alter Reichsgraf zu Salm-Reifferscheidt, als kurkölnischer Obristhofmeister ab 1784 Nachfolger des leitenden Ministers Belderbusch vgl. Aloys Winterling: Der Hof der Kurfürsten von Köln: 1688–1794. Eine Fallstudie zur Bedeutung 'absolutistischer' Hofhaltung, Bonn 1986, 183, 188.

[2] Metternichs ältester Sohn Franz (1798–1799) dürfte entsprechend nach Kaiser Franz II. benannt worden sein.

[3] Mémoires, documents et écrits divers, laissés par le prince de Metternich, chancelier de Cour et d’État, publiés par son fils, le prince Richard de Metternich, Bd. 1, 2. Aufl., Paris 1880, 10f. Zu J. F. Simon und Metternichs lebenslanger Skepsis ihm gegenüber vgl. Theodor Renaud: Johann Friedrich Simon, ein Strassburger Pädagog und Demagog, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Neue Folge, 23 (1908), 449-500.

[4] Zu Metternichs Jugend vgl. Heinrich Ritter von Srbik: Metternich. Der Staatsmann und der Mensch, Bd. 1, München 1925, 51-97.

[5] Friedrich Hartau: Clemens Fürst von Metternich in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1977, 24.

[6] Hartau: Metternich (wie Anm. 5), 24f.

[7]Hortus Dyckensis oder Verzeichniss der in dem Botanischen Garten zu Dyck wachsenden Pflanzen, Düsseldorf 1834, III-VIII.

[8] Vgl. etwa die Einschätzung des preußischen Staatskanzlers Hardenberg vom April 1811: "[...] aus diesem verwöhnten Kinde des Glücks ist ein Minister der Neutralität geworden." Zitiert nach Hartau: Metternich (wie Anm. 5), 56.

Empfohlene Zitierweise
Bernd Klesmann, Generation 1773 – Ein Seitenblick auf Fürst Metternich, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Metternich (Datum des letzten Besuchs).