Die Botanische Bibliothek auf Schloss Dyck

Hans-Werner Langbrandtner

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Joseph Fürst und Altgraf zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773–1861) [1] trug als Privatgelehrter und praktizierender Botaniker – als Landesherr der reichsunmittelbaren Herrschaft Dyck und auch später als einer der meistbesteuerten Großgrundbesitzer des Rheinlands war er finanziell unabhängig – eine einzigartige botanische Büchersammlung und wissenschaftliche Handbibliothek zusammen. Der Kern dieser Bibliothek entstand während der Studienreisen, die Joseph zusammen mit seinem jüngeren Bruder Franz unter der Leitung des Hofmeisters Abbé Jacob Tiquet in den Jahren 1785 bis 1791 nach Brüssel, Paris und Wien führten. Die Literaturwissenschaftlerin Heinke Wunderlich [2] hat aus den im Archiv Schloss Dyck überlieferten Briefen und Rechnungen des Abbé Jacob den Bestandskatalog dieser in vier Jahren zusammengetragenen Studienbibliothek rekonstruiert. Nachweislich umfasste sie 367 Titel mit etwa 700 Bänden, in den beiden Pariser Jahren erwarb Abbé Jacob 154 Titel. [3]

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Die ersten botanischen Bücher kaufte Abbé Jacob während des Pariser Studienaufenthalts von September 1787 bis Juni 1789 für Joseph, dessen einschlägiges Interesse durch im Jardin du Roi und im Cabinet d'histoire naturelle gehaltene öffentliche Chemie- und Botanikkurse geweckt worden war. Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, hatte unter seiner von 1739 bis zu seinem Tod 1788 währenden Leitung den Jardin du Roi zu einem Zentrum der botanischen Forschung entwickelt.

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Wunderlich nennt ein Verzeichnis von sieben botanischen Werken, darunter Pierre Bulliards Dictionnaire élémentaire de botanique (Paris 1783) und Michel-Paul-Gui de Chabanons Épîtresur la manie des jardins anglois (o.O. 1775). [4] Womöglich durch letztgenanntes Werk angeregt, berichtete Joseph am 10. Juni 1789 seiner Mutter brieflich von einem Besuch in Versailles, dessen barocker Schlosspark ihm – im Gegensatz zu dem im neuen Stil des englischen Gartens angelegten Park von Trianon – überhaupt nicht gefiel:

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"[…] Je m'empresse de vous rendre compte de notre voyage à Versailles […]. Nous avons vu le petit Trianon, qu'il est très difficile de voir, et nous n'avons pas vu le Roi et la Reine […]. Les jardins sont de mauvais goût à l'exception de ceux de Trianon, qui sont un chef-d'œuvre, la Ménagerie dépérit, en un mot, on ne sauroit s'amuser à Versailles qu'un jour. Nous avons vu la machine de Marly, qui est d'une structure admirable, de même que les jardins, qui sont de meilleur goût que ceux de Versailles […]."[5]

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Nachdem Joseph seine Studien 1791 abgeschlossen und am 3. Oktober 1792 von Kaiser Franz II. für großjährig erklärt worden war, beschäftigte er sich in Dyck mit der Umgestaltung des altmodischen barocken Schlossparks in einen weitläufigen Landschaftspark im englischen Stil. Ferner widmete er sich der Erforschung und Kultivierung exotischer Pflanzen, vornehmlich der Kakteen (Sukkulenten sowie der Gattung der südafrikanischen Aloe), und auch der Dendrologie.

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Bereits das erste bekannte eigenhändige Verzeichnis der Pflanzen im "Hortus Dyckensis" (1800/01) nennt 1.459 verschiedene Pflanzen, das zweite aus dem Jahr 1802 bereits 2.294. [6] Im wissenschaftlichen Austausch mit den seinerzeit bekanntesten Botanikern (wie A.H. Hayworth, Alexander von Humboldt oder Joseph Parmentier), Gärtnern (wie Peter Joseph Lenné, André Thouin oder Joseph und Max Friedrich Weyhe) und Direktoren botanischer Gärten (wie Christian Gottfried Nees von Esenbeck oder Friedrich Otto) trug er zudem eine bedeutende Sammlung von Sukkulenten in Dyck zusammen, die 1809 bereits 331 Exemplare zählte. [7] Die von ihm erstellte Kakteen-Systematik, die "Cacteae in Horto Dyckensi cultae", die ab 1816 in zahlreichen von ihm jeweils verbesserten Auflagen erschienen ist, hatte bis 1899 wissenschaftliche Gültigkeit. Als zweites wissenschaftliches Hauptwerk erschien ab 1836 die "Monographia generum Aloes et Mesembryanthemi" in einzelnen Lieferungen. Das Werk mit seinen 372 kolorierten Lithographien lag erst zwei Jahre nach Josephs Tod vollständig vor. [8]

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Der Wert der botanischen Bibliothek bestand in erster Linie in der Verbindung seiner wissenschaftlichen Manuskripte, der Handexemplare seiner eigenen Druckwerke, der frühen Literatur zur Kakteen-Forschung, der zahlreichen Inventarlisten von botanischen Gärten in Deutschland und Europa mit dem im Archiv Schloss Dyck ruhenden Nachlass, der die wissenschaftliche Korrespondenz enthält. [9]

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Nach dem Tod der Fürstin Cecilie zu Salm-Reifferscheidt-Krautheim und Dyck im Jahr 1991 wurde Josephs botanische Bibliothek zusammen mit der gesamten Dycker Bibliothek versteigert und ging damit als Ensemble verloren. Laut Versteigerungskatalog [10] umfasste die botanische Bibliothek 271 Titel, darunter auch 99 Pflanzenverzeichnisse botanischer Gärten und privater Gartenanlagen in Mitteleuropa sowie drei eigenhändige Notizbücher, in denen Fürst Joseph von den 1820er- bis in die 1840er-Jahre Abschriften und Exzerpte aus botanischer Fachliteratur sowie Materialien und Entwürfe zu seinen botanischen Werken notiert hatte. [11] Versteigert wurden auch 71 eigenhändige Aquarellzeichnungen auf Pergament und Papier mit Darstellungen von Aloen, Mesembryanthemen und Kakteen, die Joseph im Stil Pierre Joseph Redoutés (1759–1840) angefertigt hatte. Redouté war seit den 1790er-Jahren der bekannteste französische Zeichner für botanisch genaue Pflanzendarstellungen gewesen, hatte zum Pariser Freundeskreis Josephs gehört und ihm Zeichenunterricht erteilt. [12]

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Lediglich einige Manuskripte und Handexemplare der Publikationen "Catalogue des plantes cultivées dans mes jardins à Dyck" und "Cacteae in horto Dyckensi cultae" konnten von der Gemeinde Jüchen erworben werden, auf deren Gebiet Schloss und Park Dyck liegen. [13] Allein dieser kleine Teilbestand der botanischen Bibliothek des Fürsten Joseph ist heute im Archiv der Gemeinde Jüchen noch einsehbar.
 

Anmerkungen

[1] Lebensbilder Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck bieten folgende Publikationen: Margit Sachse: Als in Dyck Kakteen blühten ... Leben und Werk des Dycker Schlossherrn Joseph Altgraf und Fürst zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773–1861), Pulheim 2005, hier besonders: 151-204; Sonja Geurts: Fürst Joseph von Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773–1861), in: Lebensbilder aus dem Kreis Neuss, Band 5, Neuss 2006, 32-47. Zu rheinischen Adelsbibliotheken und zur Fachliteratur vgl.: Monika Gussone / Hans-Werner Langbrandtner: Bibliotheken und Musikalien als Spiegel adliger Bildung. Auf Spurensuche in rheinischen Adelsbibliotheken und Adelsarchiven, in: zeitenblicke 9 (2010), Nr. 1: Adel in der Sattelzeit: Die Rhein-Maas-Region und Westfalen, hg. von Gudrun Gersmann, Michael Kaiser und Hans-Werner Langbrandtner [10.06.2010], URL: http://www.zeitenblicke.de/2010/1/gussone_langbrandtner (19.5.2014), URN: urn:nbn:de:0009-9-25171 , hier: <25>, <44>-<47>.

[2] Heinke Wunderlich: Studienjahre der Grafen Salm-Reifferscheidt (1780–1791). Ein Beitrag zur Adelserziehung am Ende des Ancien Régime (= Beiträge zur Geschichte der Literatur und Kunst des 18. Jahrhunderts 8), Heidelberg 1984.

[3] Wunderlich: Studienjahre (wie Anm. 2), 69, 108; Liste der Buchtitel: 172-212; 172: 1984 konnten noch 152 Titel nachgewiesen werden, hiervon 46 mit dem handschriftlichen Besitzvermerk Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck.

[4] Wunderlich: Studienjahre (wie Anm. 2), 210.

[5] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 577, fol. 707-709. Vgl. auch Wunderlich: Studienjahre (wie Anm. 2), 279.

[6] Venator & Hanstein: Auktion 66 (14. und 15. September 1992), Köln 1992, 122, Nr. 613 – Nr. 614. Heute im Gemeindearchiv Jüchen (Rheinkreis Neuss).

[7] Venator & Hanstein: Auktion 66 (wie Anm. 6), 122, Nr. 616. Heute im Gemeindearchiv Jüchen (Rheinkreis Neuss).

[8] W. Barthlott: Joseph Maria zu Salm-Reifferscheidt-Dyck. Der fürstliche Botaniker und seine Bücher, in: Venator & Hanstein: Auktion 66 (wie Anm. 6), 10f.

[9] Die umfangreiche Korrespondenz ist seit 2008 im Findbuch zum Nachlass des Fürsten Joseph im Archiv Schloss Dyck verzeichnet. Eine Benutzung ist über das LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum in Absprache mit dem Eigentümer möglich.

[10] Venator & Hanstein: Auktion 66 (wie Anm. 6), 108-148, Nr. 528-799.

[11] Venator & Hanstein: Auktion 66 (wie Anm. 6), 144, Nr. 768.

[12] Venator & Hanstein: Auktion 66 (wie Anm. 6), 143f., Nr. 767. Joseph erhielt bereits 1786 Zeichenunterricht. Vgl. dazu Wunderlich: Studienjahre (wie Anm. 2), 245.

[13] Katalog zur Ausstellung "Wertvolle Bücher und Karten aus der Bibliothek Schloß Dyck", Grevenbroich 1994, 31f.

Empfohlene Zitierweise
Hans-Werner Langbrandtner, Die Botanische Bibliothek auf Schloss Dyck, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Botanische Bibliothek (Datum des letzten Besuchs).