Berlin, Paris, St. Louis – Eine Vermessung seines wissenschaftlichen Netzwerks
Martin Otto Braun
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Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dycks Leidenschaft für die Botanik konnte sich auf der Basis seiner enormen Vernetzung mit verschiedensten Gelehrten seiner Zeit voll entfalten. Bereits für die Zeit seiner Kavalierstour sowie die unmittelbar anschließenden Jahre sind seine Kontakte zu herausragenden französischen Gelehrten, wie etwa dem Astrologen Joseph Jérôme de Lalande, dem Religionsforscher Charles-François Dupuis, dem Botaniker Augustin-Pyrame Decandolle oder dem Pflanzenmaler Pierre-Joseph Redouté belegt. Letzterer soll maßgeblich zu Josephs Interesse an der Botanik beigetragen haben. [1]
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Auch in napoleonischer Zeit konnte Joseph im Salon seiner zweiten Ehefrau Constance den Kontakt zu deutschen Forschungsreisenden, wie etwa Alexander von Humboldt, und wiederum auch zu führenden französischen Intellektuellen pflegen. Nicht selten gehörten Letztere auch Freimaurerlogen an, sodass sich bereits andernorts etablierte Netzwerke mehrfach überschnitten. [2] Sowohl Constance als auch Joseph waren in das sich vornehmlich mit Literatur und der französischen Sprache beschäftigende Athénée de la langue française aufgenommen worden. [3]
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Knotenpunkte und offenbar wichtige Vehikel seiner Vernetzung mit gleichgesinnten Geistern stellten gerade die wissenschaftlichen Akademien und botanischen Vereine dar. Neben der Gründung eines eigenen landwirtschaftlichen Vereins im Jahr 1852 stach Joseph in der "scientific community" seiner Zeit durch seine zahlreichen Mitgliedschaften und Ehrenmitgliedschaften in renommierten Gesellschaften hervor. Anhand der noch erhaltenen Dokumente dieser Institutionen sowie Josephs Korrespondenz kann die Weitläufigkeit seines wissenschaftlichen Netzwerks insbesondere für die preußische Zeit vermessen werden.
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Bereits im Juni 1813 war er als korrespondierendes Mitglied in die im Jahr 1808 gegründete Société d'Agriculture et de Botanique de la Ville de Gand aufgenommen worden. [4] Zu den Mitgliedern dieser Gesellschaft zählten nicht nur solch illustre Personen wie der ehemalige amerikanische Präsident und Universalgelehrte Thomas Jefferson, sondern auch Salm-Dyck bereits vertraute Gelehrte und Künstler wie Decandolle und Redouté. [5] Auch nach 1815 stand Joseph noch weiterhin in schriftlichem Kontakt mit dem Präsidenten der Société in Gand, Charles van Hulthem. [6]
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Insbesondere ab 1815 ist eine Ausweitung seiner Kontakte zu Gelehrtengesellschaften mit botanischem Interesse zu bemerken. Ein ähnliches Verhältnis wie zur Société d'Agriculture et de Botanique de la Ville de Gand bzw. zu ihrem Präsidenten Charles van Hulthem lässt sich so auch für die berühmte "Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinische Akademie der Naturforscher" feststellen, zu deren Mitgliedern Joseph seit 1819 gehörte. [7] Mit dem Präsidenten der Leopoldina, dem Bonner Professor der Botanik Nees von Esenbeck, korrespondierte Joseph seit dem Jahr seiner Aufnahme über botanische Fragen – ein Kontakt, der bis in das Jahr 1850 gepflegt werden sollte. [8]
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Eine Vielzahl weiterer Mitgliedschaften kann für die Folgejahre verzeichnet werden. So wurde Joseph etwa 1823 in den "Verein zur Beförderung des Gartenbaus in den Königlich Preußischen Staaten", [9] 1829 in die Société d'Horticulture de Paris aufgenommen und im Jahr 1850 auch in der Liste der auswärtigen Mitglieder der Royal Horticultural Society in London geführt. [10] Insbesondere anhand letzterer Gesellschaft lässt sich nachzeichnen, wie sehr sich die Mitgliedschaften und der Kreis der gelehrten Korrespondenzpartner Salm-Dycks überschnitten. So finden sich in der genannten Liste der Londoner Gesellschaft mit Alexander von Humboldt, Christian Nees von Esenbeck, Karl Friedrich von Martius (Forschungsreisender), Charles François Mirbel (Botaniker), Heinrich Friedrich Link (Professor für Botanik und Direktor des botanischen Gartens der Universität Berlin) und Stefan Ladislaus Endlicher (Direktor des botanischen Gartens der Universität Wien) gleich mehrere Gelehrte, mit denen Fürst Joseph korrespondierte. [11]
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Für die Weite und Fruchtbarkeit seines Netzwerkes kann beispielhaft das zwischen 1836 und 1860 bestehende Korrespondenzverhältnis mit dem Botaniker und Forschungsreisenden Georg Engelmann stehen. Dieser schrieb Salm-Dyck nicht nur aus Frankfurt, Berlin und Paris, sondern er berichtete ihm über seine botanischen Entdeckungen sogar aus dem amerikanischen St. Louis. [12] Fürst Joseph hatte über seine Mitgliedschaften und Korrespondenzen somit Zugriff auf ein Reservoir botanischen Wissens, das noch nicht in gedruckter Form vorlag.
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Wohl auch aus diesem Grund pflegte Joseph sein gelehrtes Netzwerk mit großem Engagement bis zu seinem Lebensende. So wurde er noch 1856 zum Mitglied der Société impériale zoologique d'Acclimatisation sowie zum Ehrenvorstand des "Acclimatisationsvereins für die königlich preußischen Staaten" ernannt. [13] Noch kurz vor seinem Tod am 21. März 1861 in Nizza war er offenbar mit seiner botanischen Korrespondenz beschäftigt. Bezeichnend für die Unermüdlichkeit des Fürsten in seiner wissenschaftlichen Arbeit, aber auch für eine entsprechende Berichterstattung der publizistischen Organe einschlägiger Vereine über das Rheinland hinaus, ist der Nachruf auf ihn in der "Wochenschrift des Vereines zur Beförderung des Gartenbaues in den Königlich Preussischen Staaten für Gärtnerei und Pflanzenkunde". Hier heißt es:
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"Noch am 13. Februar erhielten wir einen 2½ Bogen langen Brief von dem greisen Fürsten aus Nizza, fast nur wissenschaftlichen Inhalts. Die Handschrift in demselben war so fest und bestimmt, dass Niemand vermuthen konnte, der Schreiber befinde sich bereits im 88. Lebensjahre. Wer den Brief sah, bewunderte nicht allein die Kürze, mit der Alles abgefasst war, sowie die Schärfe im Urtheil, sondern noch mehr die Anspruchslosigkeit, mit der ein Mann von solcher wissenschaftlichen Bedeutung und in einer so hohen Stellung sich aussprach. Durch den Tod des Fürsten haben nicht allein der Verein und die Gartenkunst einen grossen Verlust erlitten, für die botanische Wissenschaft ist der Fürst nicht zu ersetzen." [14]
Anmerkungen
[1] Zum Kontakt mit Rédouté, Thuillier und Decandolle siehe Margit Sachse: Als in Dyck Kakteen blühten… Leben und Werk des Dycker Schlossherrn Joseph Altgraf und Fürst zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773–1861), Pulheim 2005, 178-180.
[2] Robert Bied: Le Rôle d'un salon littéraire au début du XIXe siècle: Les amis de Constance de Salm, in: Revue de l'Institut Napoléon 113 (1977), 121-160, hier: 135-140.
[3] Zu Josephs Aufnahmeurkunde siehe Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 33/26, Athénée de la Langue Française, Paris, 7. Februar 1807. Andreas Becker bemerkt zur Athénée de la langue française: "Das Athenäum diente besonders der Einbindung fremdsprachiger, aber zugleich frankophoner Amtsträger und Persönlichkeiten in den nichtfranzösischsprachigen Departements." Siehe zu diesem Zitat Andreas Becker: Napoleonische Elitenpolitik im Rheinland: Die protestantische Geistlichkeit im Roerdepartement 1802–1814 (= Rheinisches Archiv 156), Köln / Weimar / Wien 2011, 124.
[4] Vgl. Korrespondenz mit Société Botanique (Gand). In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 13/51.
[5] Zu den Mitgliedern der Société bis zum Jahr 1819 vgl. J. Oyden: Almanach des Autorités Constituées de la Province de la Flandre orientale, pour l'an 1819, Gand 1819, 165-172.
[6] Siehe Korrespondenz mit Charles van Hulthem (1764-1832). In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 5/76.
[7] Zur Aufnahmeurkunde des Fürsten siehe Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 26/5, Die kaiserliche Leopoldina – Carolinae – Akademie 'naturae curiosorum' nimmt Fürst Joseph als Mitglied auf, Berlin, 18. Oktober 1819. Diese Mitgliedschaft wird auch erwähnt in: Sachse: Als in Dyck Kakteen blühten (wie Anm. 1), 188.
[8] Vgl. Korrespondenz mit Christian Gottfried Nees von Esenbeck. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/104.
[9] Siehe hierzu die Erwähnung der Aufnahme in: Wochenschrift des Vereines zur Beförderung des Gartenbaues in den Königlich Preussischen Staaten für Gärtnerei und Pflanzenkunde 19 (1861), 145.
[10] Siehe: Annales de la Société d'Horticulture de Paris et Journal Spécial de l'État et de Progrès du Jardinage, Paris 1829, 288; sowie: The Journal of the Horticultural Society of London, London 1850, Vol. V, 44. Das Lexikon 'La France Littéraire' verzeichnet außerdem seine Mitgliedschaft in der Gartenbaugesellschaft von Brüssel. Diese kann jedoch nicht zweifelsfrei belegt werden. Siehe hierzu J.-M. Quérard: La France Littéraire, ou Dictionnaire bibliographique des savants, historiens et gens de lettres de la France, ainsi que des littérateurs étrangers qui ont écrit en français, plus particulièrement pendant les XVIIIe et XIXe sieclès, Tome Huitième, Paris 1836, 414. Joseph stand jedoch seit 1828 in Korrespondenz mit dem Sekretär der Gesellschaft und vermachte dieser wohl einige Pflanzen. Vgl. Korrespondenz mit Drapin. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 2/52.
[11] Zu den Korrespondenzen mit Humboldt, Martius, Mirbel, Link und Endlicher siehe: Korrespondenz mit Charles François Mirbel. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 8/17; Korrespondenz mit Alexander von Humboldt. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 5/77; Korrespondenz mit Karl Friedrich Martius. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 7/115; sowie Korrespondenz mit Stefan Ladislaus Endlicher. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 2/94.
[12] Korrespondenz mit Georg Engelmann. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 2/95.
[13] Vgl. Ernennung zum Ehrenvorstand des Acclimatisationsvereins für die königlich preußischen Staaten. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 30/32; sowie Aufnahme in die Société impériale zoologique d'Acclimatisation. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 30/31.
[14] Wochenschrift des Vereines zur Beförderung des Gartenbaues (wie Anm. 9), 145.
Empfohlene Zitierweise
Martin Otto Braun, Berlin, Paris, St. Louis – Eine Vermessung seines wissenschaftlichen Netzwerks, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Wissenschaftliche Akademien (Datum des letzten Besuchs).