Die Ehen
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Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck war zwei Mal verheiratet. Als 19-Jähriger ehelichte der junge Adlige im Oktober 1792 zunächst die zu diesem Zeitpunkt erst sechzehnjährige Gräfin Maria Theresia von Hatzfeld (1776–1838), die als 'gute Partie' gegolten haben dürfte. Der Einmarsch der französischen Revolutionstruppen im Herbst des Jahres 1794 brachte für das junge Paar große Belastungen mit sich. Während Joseph im Rheinland blieb, um seine Dycker Herrschaft durch Kooperation mit den neuen Machthabern zu retten, floh Maria Theresia, wie so viele rheinische Adlige, in Begleitung ihrer Schwägerin mit ihrer neugeborenen Tochter zu ihrer Mutter an den Wiener Kaiserhof. Das Kind wurde nur 14 Monate alt. Aufgrund der räumlichen Trennung und der Kriegswirren scheint es danach nur noch selten zu einem Treffen der Eheleute gekommen zu sein. Dank des im Dycker Archiv erhaltenen Taufscheins wissen wir jedoch, dass bei einer dieser Begegnungen der am 25. April 1796 geborene Sohn Clemens Joseph Jacob gezeugt wurde.
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Als Clemens Joseph Jacob am 25. Januar 1799 im Alter von knapp vier Jahren verstarb, war die Ehe zwischen Joseph und Maria Theresia bereits hoffnungslos zerrüttet. Über die Gründe kann die Nachwelt nur spekulieren. Trug die weite Entfernung zwischen Dyck und Wien, der Aufenthalt in zwei ganz unterschiedlichen Lebenswelten Schuld an der zunehmenden Entfremdung der Eheleute? Welchen Anteil daran hatte Maria Theresias Mutter, eine geborene Gräfin Zierotin, deren Einfluss auf die Tochter groß gewesen sein muss und deren Verhältnis zu ihrem Schwiegersohn sich zusehends verschlechterte? Altgraf Joseph, oder besser "citoyen Joseph", versuchte mehrfach vergeblich, Maria Theresia zur Rückkehr nach Dyck zu bewegen. Im Herbst 1797 wandte er sich in dieser Angelegenheit sogar an das Reichskammergericht in Wetzlar, neben dem Reichshofrat in Wien das höchste Gericht des Alten Reichs, dem er als "Reichs-Altgraf" direkt unterstand. Während Joseph seiner Frau in der Klageschrift neben der Vernachlässigung ihrer ehelichen Pflichten und ihrem Hang zur Geldverschwendung insbesondere vorwarf, ihm durch ihre Abwesenheit auch den kleinen Sohn, "die einzige Frucht ihrer vorhin glücklichen Ehe", vorzuenthalten,
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Was auch immer sich hinter den Kulissen abgespielt haben mag, Maria Theresia kam nie wieder nach Dyck zurück. Im Sommer des Jahres 1801 bestätigte der Friedensrichter des Kantons Elsen, Joseph Klein, auf Josephs Antrag hin, dass "Therese Salm" beim Vormarsch der republikanischen Truppen ins rechtsrheinische Ausland geflohen sei und sich seit dieser Zeit dort aufhalte.
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Mehr als nur der offizielle Schlussstrich unter einer allem Anschein nach unglücklich verlaufenen Ehe, war die Scheidungsurkunde zugleich ein Symbol der neuen Zeit, die mit der Revolution und der französischen Besetzung des Rheinlandes auch auf Dyck eingezogen war. Am 20. September 1792 hatten die Abgeordneten der Nationalversammlung in Paris neben anderen bahnbrechenden Gesetzen zur Regelung des Personenstandes ein neues Eherecht beschlossen. "Im Einklang mit dem in der Verfassung vom 3. September 1791 formulierten Gleichheitsgrundsatz" (Christian Reinicke) galt die Ehe von nun an nicht mehr als heiliges Sakrament und vor Gott geschlossener unauflösbarer Bund, sondern als "sozialer Vertrag", der jederzeit – und zwar auch einseitig, auf der Basis des Zerrüttungsprinzips – aufgekündigt werden konnte.
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Elf Jahre nach der ersten Trauung fand die zweite Eheschließung statt. Am 14. Dezember 1803, ein Jahr nach der Kaiserkrönung Napoleons in Notre-Dame, heiratete "Joseph François Marie Antoine Hubert Ignace de Salm-Dyck", zu diesem Zeitpunkt wohnhaft in Paris, Rue du Faubourg Poissonnière Nr. 1, nach französischem Zivilrecht die bekannte französische Schriftstellerin, Komponistin und Salonière Constance Marie de Théis, die ihrerseits drei Jahre zuvor, am 6. Juli 1800, von ihrem ersten Mann, dem Chirurgen Jean-Baptiste Pipelet, geschieden worden war. Constance de Théis brachte ihre Tochter Clémentine, genannt Minette, in die Ehe mit.
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Das damals in Frankreich geltende Eherecht, wie es als Errungenschaft der Französischen Revolution schließlich in Napoleons Code Civil fixiert worden war, gestand dem Ehemann zwar einerseits die Verfügungsgewalt über das gemeinsame Vermögen zu, bot den Ehepartnern andererseits jedoch die Möglichkeit, Gütertrennung zu vereinbaren. Constance de Théis und Joseph de Salm-Dyck beriefen sich auf die entsprechenden Paragraphen, als sie am "18. Frimaire" des Jahres 12 (10. Dezember 1803) in Gegenwart zweier Pariser Notare einen Vertrag schlossen, der die Ehefrau unter anderem ermächtigte, all ihre finanziellen und gegebenenfalls rechtlichen Angelegenheiten selbständig, ohne vorherige Genehmigung ihres Ehemannes, zu entscheiden und zu regeln. Im Falle einer Trennung sollte Constance eine jährliche Pension von 12.000 Francs erhalten.
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Während der über drei Jahrzehnte währenden Ehe lebte das Paar auf Dyck, auf Schloss Alfter bei Bonn und in Aachen. Die Wintermonate wurden gewohnheitsmäßig in Paris verbracht. Der Pariser Salon Constances, in dem die europäische Intelligentsia des frühen 19. Jahrhunderts von Alexandre Dumas bis Alexander von Humboldt verkehrte, bildete den politischen, literarischen und gesellschaftlichen Kristallisationspunkt ihres Zusammenlebens. Die – wie man insbesondere auch aus Constance de Salms Korrespondenz schließen kann – bis zum Schluss harmonische Ehe war durch häufige örtliche Trennungen der Ehepartner geprägt, die jedoch beide offenbar die Unabhängigkeit des jeweils anderen zu tolerieren wussten.
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Die erste Ehe des Altgrafen und späteren Fürsten Joseph warf über die zweite mit Constance de Salm allerdings über Jahre hinweg ihre Schatten. Maria Theresia hörte offenbar nie auf, sich als einzig rechtmäßige Ehefrau Josephs und Herrin auf Dyck zu betrachten. Die quälenden Auseinandersetzungen mit ihr flammten nach dem Tod von Constances Tochter Minette im Juni 1820 auf Schloss Dyck erneut auf und erreichten eine bis dahin ungekannte Schärfe. Minettes gewaltsames Ende lieferte Maria Theresias Gefolgsleuten eine willkommene Gelegenheit, Constance de Salm öffentlich zu diskreditieren, indem ihr der Rang der rechtmäßigen Fürstin streitig gemacht wurde.
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In zeitgenössischen Journalen erschienen Berichte, die ausdrücklich darauf verwiesen, dass Minette die Tochter eines "französischen Chirurgs" und der Constance de Salm sei, welch letztere sich zwar schon seit längerer Zeit auf Schloss Dyck aufhalte, aber "keineswegs" als Fürstin gelten könne. Diese Bezeichnung gebühre allein der sich derzeit in Bayern aufhaltenden Maria Theresia von Hatzfeld. Sie lebe zwar von ihrem Ehemann getrennt, sei aber nicht von ihm geschieden, "am wenigsten in der Art geschieden, dass Eines oder das Andere bei beider Lebzeiten zu einer zweiten Ehe schreiten" könne, da "beide hohe Fürstenpersonen katholischer Religion sind".
Anmerkungen
Empfohlene Zitierweise
Gudrun Gersmann, Die Ehen, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Ehen (Datum des letzten Besuchs).