Bemühungen um Anerkennung als preußischer Standesherr

Hans-Werner Langbrandtner

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Der während des Wiener Kongresses begründete Deutsche Bund erklärte die ehemals reichsständischen und regierenden Adelshäuser, die im Zuge der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches ab 1806 durch Mediatisierung ihre unmittelbaren Herrschaftsrechte verloren hatten, zu Standesherren. Sie galten den noch regierenden Häusern als ebenbürtig. Als Ausgleich wurden ihnen im Artikel XIV der Bundesakte von 1815 erhebliche Sonderrechte eingeräumt: die erbliche Mitgliedschaft in den Ersten Kammern der Landesparlamente, die Unterstellung unter eine eigene Schiedsgerichtsbarkeit, Steuerfreiheit, die Befreiung vom Militärdienst bei Anspruch auf Eintritt ins landesherrliche Militär unmittelbar im Offiziersrang, die Ausübung der niederen und mittleren Gerichtsbarkeit sowie des Kirchen- und Schulpatronats, das Unterhalten eigener Beamter und uniformierter Diener, die Forst- und Jagdaufsicht auf lokaler Ebene. [1]

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Seitdem König Friedrich Wilhelm III. diese Bestimmungen auch für Preußen anerkannt hatte, versuchte Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, die ehemals reichsunmittelbare Grafschaft Dyck zur Standesherrschaft erklären zu lassen. Er ließ unter anderem seine Kontakte zu Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg und zu Alexander von Humboldt spielen, um dem König sein Anliegen nahezubringen. Humboldt teilte ihm am 15. September 1815 aus Paris jedoch bedauernd mit:

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"Euer Hochwohlgeboren Wunsch, gleiche Vorrechte mit den mediatisierten ehemaligen Reichsständen zu erhalten, hängt lediglich von der Gnade Seiner Majestät des Königs ab, und ich werde mit Vergnügen, soviel von mir abhängt, zur Erfüllung desselben beitragen. Da ich aber bestimmt bin, als Gesandter in Paris zu bleiben, so bedauere ich, mir nicht schmeicheln zu dürfen, auf deutsche Angelegenheiten einen wirksamen Einfluß ausüben zu können."[2]

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Trotz mehrjähriger Korrespondenz mit Hardenberg und trotz Fürsprache von manchen Einflussreichen beschied der König ihm 1821:

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"Mein Herr Fürst! Ich habe Ihr Gesuch um Verleihung standesherrlicher Gerechtsame [...] einer ausführlichen und gründlichen Erörterung unterwerfen lassen, aus dem Resultat derselben jedoch die vollständige Ueberzeugung erlangt, daß Ihr Anspruch in keinem Gesichtspunkte begründet ist [...]. Denn es ist erwiesen, daß das Haus Salm-Reifferscheid-Dyk niemals Reichsstandschaft gehabt hat. Die Herrschaft Dyk war jederzeit nur reichsunmittelbar, aber auch diese Eigenschaft ging durch den Frieden von Lüneville, der sie mit dem gesamten linken Rheinufer von Deutschland trennte, verloren. Wegen Ihres Verlustes nicht blos an den Feudal-Rechten der Herrschaft Dyk, sondern an Einkünften aller Art, sind Sie durch die Bestimmungen des Reichs-Deputationsschlusses vom 25. Februar 1803 vollständig entschädigt, ja diese Entschädigung ist auf die landsässige Herrschaft Alfter ausgedehnt worden, so daß Sie eine jährliche Rente von beinahe 10.000 Francs mehr erhalten haben, als Sie liquidirt hatten. [...] Sie werden deshalb sich selbst überzeugen, daß Sie nicht denjenigen Fürsten und Grafen gleichgestellt werden können, auf welche die Bestimmungen der deutschen Bundesacte Art. 14, worin nur von den im Jahre 1806 und seitdem mittelbar gewordenen Reichsständen die Rede ist, Anwendung finden [...]."[3]

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Diese Zurückweisung traf Fürst Joseph offenbar zutiefst, wie der Entwurf seiner Rückantwort zeigt:

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"Wenn nun mein wahrhaft uneingeschränktes Zutrauen in die Gerechtigkeit Eurer Majestät mir zwar die Überzeugung gewährt, daß höhere Staatsverhältnisse keine günstigere Entscheidung über meine Anträge gestattet haben, so ist mir doch die Zerstörung meiner langen Erwartung durch den großen Einfluß, den sie auf meine künftige Existenz notwendig[erweise] haben muß, nicht minder schmerzhaft. [...] Seit sechs Jahren hat auch nichts diese Erwartung zerstört, alle ebenbürtigen Fürsten und Grafen [...] haben eine feste Stellung erhalten; ich allein bleibe aus allen meinen wahren Verhältnissen verrückt. Bei jedem Schritt in meinem Hause finde ich die Rückerinnerung an alle Gerechtsame, die meine Vorfahren besaßen und zugleich die schmerzhafte Überzeugung, daß [...] ich dem letzten meiner ehemaligen Unterthanen gleich gestellt bin." [4]

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Das Ausführungsgesetz für die Provinzialstände in den Rheinprovinzen, [5] das Friedrich Wilhelm III. 1824 erließ, hatte für Fürst Joseph zur Folge, dass er sich, wollte er Abgeordneter im Landtag werden, um ein Mandat im zweiten Stand, also innerhalb der Ritterschaft, hätte bewerben müssen. Denn seine Besitzungen Dyck, Alfter, Hackenbroich und Ramersdorf hatten seinerzeit nur den Charakter von Rittergütern. Dagegen verwahrte er sich in einem Schreiben an den König:

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"Von jeher zum hohen Adel Deutschlands mit allen Vorrechten der Ebenbürtigkeit gehörig, haben Eure Majestät noch geruhet, dieses Haus in den Fürstenstand des preußischen Staates zu erheben. Es kann also unmöglich zu keinem anderen Stande gerechnet werden als zum Ersten. Auch kann die Herrschaft Dyck – als vormals unmittelbares Land – wegen dieses früheren Verhältnisses sowohl als wegen der Größe des Grundeigenthums ohne offenbare Zurücksetzung nicht mit blos ritterschaftlichen, oft unbedeutenden Besitzungen gleich gestellt werden; da hingegen eine weit größere Analogie sie zu den übrigen früher unmittelbaren Territorien gesellet."

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Fürst Joseph bat "in dieser für die künftige Existenz [s]eines Hauses so wichtigen Angelegenheit" den König, ihm (und seinen Nachfahren) in Ansehung des Besitzes der Grafschaft Dyck und seiner Eigenschaft als Haupt des Hauses Salm-Reifferscheidt-Dyck die persönliche Virilstimme des ersten Standes auf dem Landtag zu verleihen. [6] Zwei Jahre dauerteder Entscheidungsprozess. Als dem rheinischen Adel am 19. Januar 1826 das Fideikommissrecht zugesprochen wurde, konnte Fürst Joseph seine linksrheinischen Besitzungen  zu einem Majorat vereinigen. Am 11. Oktober 1826 – kurz vor der Eröffnung des ersten Provinziallandtags – erhielt Fürst Joseph endlich die Virilstimme des ersten Standes: "Mein Herr Fürst! Ich habe [...] das von Ihnen gestiftete Majorat bestätigt, auch Ihnen und Ihren Majorats-Nachfolgern eine Virilstimme auf dem Rheinischen Provinzial-Landtage unter den vormals unmittelbaren Reichständen verliehen", so das knappe Schreiben des Königs. [7] Spätere Versuche Josephs, die Virilstimme als Grundlage für die Anerkennung als Standesherr nicht nur in Preußen, sondern auch in den Mitgliedsländern des Deutschen Bundes zu nutzen, hatten keinen Erfolg.

 

Anmerkungen

[1] Heinz Gollwitzer: Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815–1918. Ein Beitrag zur deutschen Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1964, 25f.; vgl. dazu auch Heinz Reif: Adel im 19. und 20. Jahrhundert (= Enzyklopädie deutscher Geschichte 55), München 1999, 2f.; sowie Jürgen Angelow: Der Deutsche Bund, Darmstadt 2003, 3-44.

[2] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 519, 125.

[3] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 527, 1-2. Vom König eigenhändig unterzeichnetes Schreiben, Berlin, 26. Februar 1821.

[4] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 527, 3-7 (Entwurf eines Schreibens an Friedrich Wilhelm III., Dyck, 8. März 1821), hier: 6.

[5] Archiv des Landschaftsverbands Rheinland, Pulheim. Bestand Provinzialarchiv, Akte 1: Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände in den Rheinprovinzen, 27. März 1824. Gedruckt in: Joachim Stephan: Der Rheinische Provinziallandtag 1826–1840. Eine Studie zur Repräsentation im frühen Vormärz (= Rheinprovinz 7), Köln 1991, 113ff.

[6] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 527, 23ff. (Entwurf eines Schreibens an Friedrich Wilhelm III., Dyck, 10. November 1824).

[7] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 527, 45 (vom König unterzeichnetes Schreiben, Berlin, 11. Oktober 1826). Vgl. auch Jakob Bremer: Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck der Grafen jetzigen Fürsten zu Salm-Reifferscheidt, Grevenbroich 1959, 194f.

Empfohlene Zitierweise
Hans-Werner Langbrandtner, Bemühungen um Anerkennung als preußischer Standesherr, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Standesherrschaft (Datum des letzten Besuchs).