Politische Rolle im Provinziallandtag der preußischen Rheinprovinz

Hans-Werner Langbrandtner

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Bereits 1815 hatte Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck Kontakt mit dem preußischen Staatskanzler Hardenberg aufgenommen, um mit Hinweis auf die 1794 erfolgte Erhebung der Linie Salm-Reifferscheidt-Bedburg in den Reichsfürstenstand nun den preußischen Fürstentitel zu beanspruchen. Darüber hinaus erbat er sich, seine linksrheinische Grafschaft Dyck als ehemals reichsunmittelbares Territorium zur Standesherrschaft zu erklären. Den Fürstentitel gestand ihm Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1816 aus "besonderer königlicher Gnade" zu, die Anerkennung als Standesherr lehnte er hingegen wegen der fehlenden rechtlichen Voraussetzungen ab. Als der König am 19. Januar 1826 dem rheinischen Adel – im Widerspruch zum Realerbteilungsrecht des linksrheinisch nach wie vor gültigen Code Civil – das Fideikommissrecht zusprach, konnte Fürst Joseph seine linksrheinischen Besitzungen zu einem Majorat vereinigen. Er erlangte damit die Aufnahme in den ersten Stand des Provinziallandtags. [1] Als dieser am 29. Oktober 1826 erstmals zusammentrat, war Joseph also Mitglied des ersten Standes (jedoch ohne die Anerkennung als Standesherr). Ebenso wie die anderen fünf Mitglieder des ersten Standes verfügte auch er über eine Virilstimme. Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Standesgenossen nahm er von 1826 bis 1852 an allen einberufenen Landtagen teil, auch wenn er die fehlenden Gesetzgebungskompetenzen der Provinzialstände, "deren Attributionen übrigens kaum die eines früheren Departemental-Raths sind", gerade im Hinblick auf die Steuerbewilligung bedauerte. [2]

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Wie einflussreich die Adelsgruppe um Johann Wilhelm Freiherr von Mirbach-Harff, Franz Anton Graf von Spee und Alexander Freiherr von Wylich zu Diersforth auf den ersten beiden Provinziallandtagen war, zeigt sich allein schon darin, dass jeweils Wylich zu Diersforth als Landtags-Vizemarschall amtierte. Denn allein der König berief den Landtag ein und ernannte ein Mitglied des ersten oder zweiten Standes zum Landtagsmarschall bzw. zu dessen Vertreter. Dieser stand als Beauftragter der Krone über den Ständen und ernannte – wiederum allein aus den Vertretern des ersten und zweiten Standes – die Vorsitzenden der Fachausschüsse. Fürst Joseph wurde 1826 wie auch bei einigen folgenden Landtagen zum Vorsitzenden des wichtigen Ausschusses für kommunale Angelegenheiten berufen. Dass er sich von den altständischen Vorstellungen der Adelsgruppierung um Mirbach-Harff distanzierte, die vehement für die Einführung des partiell noch ständisch abgestuften Allgemeinen Preußischen Landrechts anstelle des auf staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit beruhenden Code Civil eintrat, untermauert ein Schreiben an den Kronprinzen Wilhelm vom 28. Januar 1831. Hier pocht Salm-Reifferscheidt-Dyck auf die Einlösung des preußischen Verfassungsversprechens von 1815 und tritt für eine Bewahrung des 'Rheinischen Rechts' ein:

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"[...] Auf unserem Provinzial-Landtage stellte sich stets der Düsseldorfer Adel [3] in Widerspruch mit dem offenbarsten Interesse des Landes und veranlaßte durch die unbesonnensten Äußerungen Widerstand und heftige Debatten, die man nachher zu benutzen suchte, um die Gesinnungen der Versammlung in ein ganz falsches Licht zu stellen. Unsere Gesetze [Code Civil bzw. das Rheinische Recht, H.-W.L.] und unsere Gerichts-Ordnung, die die Anhänglichkeit der hiesigen Einwohner sowie den Beifall sehr vieler vernünftigen Männer gegen jeden Angriff schützen sollten, wurden stets bedroht [...]". [4]

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Dass die Adelsgruppe um Mirbach-Harff zumindest vorübergehend ihren Rückhalt beim König einbüßte, zeigt sich auch darin, dass Fürst Joseph 1830 zum Landtags-Vizemarschall des dritten Provinziallandtags ernannt wurde. Der vierte Landtag 1833 sah jedoch an seiner Stelle Franz Anton Graf von Spee, einen Vertrauten Mirbach-Harffs, als Landtags-Vizemarschall. [5] Fürst Joseph sah dies als Zurückweisung an, lag doch die ausbleibende erneute Berufung seiner Person für ihn letztlich darin begründet, dass er im vorigen Landtag einen Antrag der Stadt Köln auf Beibehaltung der Gerichts- und Prozessordnung des Code Civil zugelassen hatte. Er verfasste daraufhin eine ausführliche Rechtfertigungsschrift an den König, die er mit den bezeichnenden Worten beschloss:

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"Ich glaube also, auch einen gerechten Anspruch auf das allerhöchste Vertrauen wie auf das öffentliche zu haben, und nur durch dieses beiderseitige Vertrauen kann meine Mitwirkung zu den Provinzialangelegenheiten irgendeinen Nutzen bringen. Von dem Augenblicke an, wo Eure Majestät mir das Ihrige entziehen, ist mein Beruf zu Ende, und es bleibt mir nichts übrig, als mich in mein ruhiges, den Wissenschaften allein gewidmetes Leben zurückzuziehen". [6]

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Das beharrliche Eintreten für die Aufrechterhaltung des Code Civil als 'Rheinisches Recht' und das stete Anmahnen eines gesamtpreußischen Landtags waren politische Leitlinien Josephs zu Salm-Reifferscheidt-Dyck. Er zählte zu den 'Liberalen' im Landtag und machte seine Distanz zur konservativen Politik der Ritterschaft um Johann Wilhelm von Mirbach-Harff und damit auch zu den politischen Vorstellungen des Königs deutlich. Als Friedrich Wilhelm III. im November 1830 dem Landtag eine Gesetzesvorlage zur Revision der allgemeinen Gesetzgebung und die Abfassung neuer Provinzialgesetze zur Beratung überwies, wirkte Fürst Joseph maßgeblich an der ablehnenden Antwort des Landtags mit:

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"Vom ersten Landtage an ist die Beibehaltung unserer [rheinischen] Gesetze die wichtigste gewesen, und sie hat eine Teilnahme erzeugt, die mit jedem Jahr lebhafter geworden ist. Die Treue der Provinz und ihre Liebe zu Eurer Majestät haben sich seit 20 Jahren und besonders in der letzten bewegten Zeit [Juli-Revolution von 1830, H.-W.L.] so vollständig bewährt, daß wohl kein Staatsinteresse das Opfer ihrer [rechtlichen] Institutionen erheischen kann." [7]

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Auch die persönliche Intervention des preußischen Justizministers von Kamptz auf Schloss Dyck brachte kein Ergebnis. [8] 1839 lenkte Friedrich Wilhelm III. in dieser Sache schließlich ein und sicherte den Bestand des Rheinischen Rechts zu. Den politischen Preis für seinen Einsatz zahlte Fürst Joseph dann bei der Suche nach einem Nachfolger für den 1836 verstorbenen langjährigen Landtagsmarschall Fürst Johann August Karl zu Wied. Der als Gutachter über die in engerer Auswahl stehenden Kandidaten benannte Oberpräsident der Rheinprovinz, Freiherr von Bodelschwingh, fällte ein negatives Urteil:

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"Der Fürst Salm-Dyck ist […] meiner Überzeugung nach beßer als sein Ruf […], wodurch die Zurückziehung des sicheren Auftrags als neuer Landtags-Marschall nicht aus Mangel an Vertrauen veranlaßt ist; auch eignet er sich durch seine Fähigkeiten mehr zum Präsidenten einer Standesherren-Versammlung; doch aber soll er einer theilweise zu gehäßigen Opposition [der Liberalen, H.-W.L.] zu nahe gestanden, als daß er meines Erachtens bei der Wahl für eine solche Rolle die Präverenz haben könnte". [9]

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Als Friedrich Wilhelm IV. 1847 – durch die sich zuspitzende innenpolitische Lage gezwungen – erstmals alle preußischen Provinzialstände als Vereinigten Landtag nach Berlin einberief, erwies er Fürst Joseph, zu dem er bereits als Kronprinz in engem brieflichem Kontakt gestanden hatte, eine besondere Ehre: die Ernennung zum stellvertretenden Landtagsmarschall. [10] Das entsprechende Dankesschreiben zeugt jedoch von einem eher resignierten Blick des Geehrten auf seine politische Tätigkeit im Provinziallandtag:

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"Den Beweis der Ernennung [...] weiß ich umso höher und vollständiger zu würdigen, als bis jetzt meine biedersten Absichten fast stets verkannt worden sind. Das Gefühl des mir so gethanen Unrechts würde mich selbst abgehalten haben, an den ständischen Beratungen ferner einen Antheil zu nehmen. Jetzt aber, wo Eurer Majestät hochherziger Wille die Provinzialstände zu einem neuen Berufe versammelt, ist es Pflicht für jeden treu ergebenen Manne, die Stelle anzunehmen, die Eure Majestät ihm anweisen und zur Ausführung der Allerhöchsten Beschlüsse mitzuwirken."[11]
 

Anmerkungen

[1] Joachim Stephan: Der Rheinische Provinziallandtag 1826–1840. Eine Studie zur Repräsentation im frühen Vormärz (= Rheinprovinz 7), Köln 1991, 65-67.

[2] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 519, 270. Vgl. dazu auch Stephan: Provinziallandtag (wie Anm. 1), 68.

[3] Ein Hinweis auf die Ritterschaft als zweiten Stand im Landtag und den aus Düsseldorf stammenden Franz Anton Graf von Spee, der als enger Vertrauter Mirbach-Harffs galt und von 1826 bis 1837 Abgeordneter im Provinziallandtag war.

[4] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 519, 271.

[5] Schreiben des Oberpräsidenten der Rheinprovinz Philipp von Pestel an Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck, Düsseldorf, 12. August 1833. In: Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 527, 309.

[6] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 527, 225-231, hier: 231. Vgl. auch Jakob Bremer: Die reichsunmittelbare Herrschaft Dyck der Grafen jetzigen Fürsten zu Salm-Reifferscheidt, Grevenbroich 1959, 240.

[7] Zitiert nach Bremer: Herrschaft Dyck (wie Anm. 6), 243f.

[8] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 519, 335-377; sowie Bremer: Herrschaft Dyck (wie Anm. 6), 243.

[9] Landeshauptarchiv Koblenz. Bestand 403 (Oberpräsidium der Rheinprovinz) – Akte 203,23-28, hier: 25; Stephan: Provinziallandtag (wie Anm. 1), 94, Anm. 376.

[10] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 519, 407, datiert 19. Februar 1847.

[11] Archiv Schloss Dyck, Blaue Bände – Band 519, 405, Abschrift, datiert 1. März 1847.

Empfohlene Zitierweise
Hans-Werner Langbrandtner, Politische Rolle im Provinziallandtag der preußischen Rheinprovinz, aus: Martin Otto Braun, Elisabeth Schläwe, Florian Schönfuß (Hg.), Netzbiographie – Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck (1773-1861), in: mapublishing, 2014, Seitentitel: Politische Rolle (Datum des letzten Besuchs).