Capitaine de la Louveterie – Die Wolfsjagd
Martin Otto Braun
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"Die Louveterie begreift 28 Divisionen unter eben so viel Capitänen. Jedes Departement hat einen Lieutenant der Louveterie. Grand-Louvetier ist der Fürst von Neuchatel, Groß-Jägermeister." [1]
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Laut einem kaiserlichen Dekret vom 8. Fructidor des Jahres XII (26. August 1804) oblag die Aufsicht über die Louveterie [2] (Wolfsjagd) im französischen Kaiserreich, deren Organisation im oben angeführten zeitgenössischen Zitat beschrieben wird, dem Grand Veneur de la Couronne. Gleichnamigen Posten bekleidete über die gesamte napoleonische Herrschaftsperiode hinweg Kriegsminister Alexandre Berthier (1753–1815). [3] Kraft dieses Amtes ernannte Berthier am 20. Fructidor des Jahres XIII (7. September 1805) Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck zum Capitaine de la Louveterie. [4] Die Ernennungsurkunde führt als Ausweis von dessen Befähigung sowohl Josephs "expérience particulière pour la destruction et la chasse des loups et bêtes voraces", aber auch seine Treue zum französischen Kaiser an. Die für die Amtsausübung erforderlichen Jagderlaubnisscheine haben sich im Archiv Schloss Dyck bis hin zu jenen aus dem Jahr 1810 erhalten. [5] Aus der Korrespondenz kann ferner geschlossen werden, dass Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck mindestens bis 1813 in dieser Stellung verblieb. [6]
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Wie viele Adlige, war auch er zeit seines Lebens ein passionierter Jäger. Es dürften jedoch weniger Salm-Dycks persönliche Vorlieben gewesen sein, die Berthier zu seiner Ernennung veranlassten. Vielmehr gehört Joseph zu einer ganzen Reihe adliger Personen, die innerhalb der Louveterie des Premier Empire in führende Ämter berufen wurden. [7] Offenbar nahm das napoleonische Regime also gerne die Jagdfähigkeiten von (ehemaligen) Adligen in Anspruch. Letztere dürften ihrerseits in den Ehrenämtern der Louveterie eine Möglichkeit gesehen haben zumindest einen Teil traditioneller Herrschaftsrepräsentation zu wahren – wenngleich die Wolfsjagd bereits im Ancien Régime nicht zu den adligen Privilegien zählte, sondern der Wolf von jedermann erlegt werden durfte. Nicht zuletzt dürften oftmals die bei dieser Personengruppe vorhandenen Erfahrungen in der Organisation größerer Jagden bei den jeweiligen Entscheidungen den Ausschlag gegeben haben.
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Als Capitaine bzw. Hauptmann übernahm Salm-Dyck die Oberaufsicht über die Wolfsjagd in den Departements de la Roer, Mont-Tonnere, de la Sarre und Rhin-et-Moselle. Wie aufwendig die Organisation der zuvor durch den jeweiligen Präfekten zu genehmigenden Jagden im Einzelnen war, zeigt etwa ein 30seitiges Dokument aus dem Jahr 1808 mit dem Titel "Projet de battue aux loups à executer dans l'arrondissement de Bonn en temps de Neige", das ihm vermutlich im Vorfeld vom zuständigen Lieutenant zur Abnahme eingereicht worden war. [8] Akribisch werden hierin die Namen und Wohnorte aller an einer Wolfsjagd im Arrondissement Bonn teilnehmenden Personen aufgelistet. Auch finden sich genaue Anweisungen zu den jeweils für sie vorgesehenen Laufwegen und Stellungen. An der Jagd beteiligt waren demnach insgesamt 180 Treiber, die in langgezogenen Reihen nebeneinander schreitend die Tiere aufscheuchen sollten, sowie 223 Hilfsjäger, vom einfachen Bauern bis zum Rentier und Propriétaire. Unter den 31 beaufsichtigenden Jagdkommissaren finden sich nicht nur professionelle Jäger, sondern unter anderen auch verschiedene Maires sowie der Unterpräfekt des Arrondissements, Peter Joseph Boosfeld. [9] Insgesamt nahmen somit rund 440 Personen an der winterlichen Wolfsjagd in Bonn und Umgebung teil. Neben ihrem praktischen Nutzen wohnte der Wolfsjagd also auch ein starkes gesellschaftliches Moment inne. Ein leitendes Amt konnte somit durchaus prestigeträchtig sein.
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Auch unter diesem Aspekt ist Josephs Stellung als Capitaine der Wolfsjagd zu betrachten. [10] Salm-Dyck hielt engen Kontakt mit den in den einzelnen Departements agierenden Lieutenants de la Louveterie, die ihm in regelmäßigen Abständen über die Zahl der erlegten Tiere zu berichten hatten. Seinerseits leitete er diese Berichte nach Paris zu Berthier weiter. Bezeichnenderweise verfasste Joseph seine Aufforderung an die Lieutenants die Berichte einzureichen ebenfalls in Paris, [11] sodass womöglich neben dem schriftlichen auch ein persönlicher Kontakt zu Berthier bestand.
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Die Tätigkeit als Capitaine de la Louveterie beschränkte sich also keineswegs auf das Lokale, sondern durchdrang in ihrer Mittlerfunktion auf direktem Wege die verschiedenen Ebenen des napoleonischen Staatsapparats, von der Mairie bis zum Zentrum in Paris. Gerade aus dieser Perspektive betrachtet fügt sich die Louveterie recht harmonisch in die lange Reihe der übrigen Repräsentations- und Funktionspositionen Joseph Salm-Dycks innerhalb des Kaiserreichs. Ein stetiges Pendeln zwischen Paris und der Provinz kann hier als notwendige Amtsvoraussetzung gelten. Die ehrenamtliche Tätigkeit als Capitaine für das gesellschaftliche Ereignis "Wolfsjagd", das durchaus auch militärische Züge trug, sollte zudem eine gewisse Vorbereitung auf Tätigkeiten sein, wie sie sich Salm-Dyck in späterer Zeit als Offizier der preußischen Landwehr oder als Protektor der lokalen Schützenbruderschaft ergeben sollten. In französischer Zeit bekundete gerade auch sein Engagement für die Wolfsjagd seine Bereitschaft, sich auf allen Ebenen in das napoleonische Herrschaftssystem einzufügen.
Anmerkungen
[1] Joseph Georg Wiedemann: Frankreich unter der neuen Dynastie nach seinen innern Verhältnissen, o. O. 1810, 92. Online unter: http://books.google.de/books?id=VeVBAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false (28.05.2014).
[2] Einen guten Überblick über die historische Entwicklung der Wolfsjagden sowie das Verhältnis von Mensch und Wolf gibt Gerd van den Heuvel: Die Ausrottung eines "gefährlichen Untiers" – Wolfsjagden in Niedersachsen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 76 (2004), 71-113.
[3] Siehe hierzu: Organisation de la Louveterie. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 34/20.
[4] Zu sämtlichen Angaben siehe: Ernennungsurkunde des Comte Joseph Salm zum Capitaine de la Louveterie, Paris, 7. September 1805. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 26/1. Bremer gibt als Ernennung bereits das Jahr 1804 an. Vgl. Jakob Bremer: Die Reichsunmittelbare Herrschaft Dyck der Grafen jetzigen Fürsten zu Salm-Reifferscheidt, Grevenbroich 1959, 192. Der vorliegende Artikel orientiert sich am Datum der Ernennungsurkunde.
[5] Vgl. Jagdscheine, verschiedene Ausstellungsorte, 15. September 1807 bis 15. September 1810. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 33/14.
[6] Vgl. hierzu etwa den Schriftwechsel mit dem Lieutenant de la Louveterie im Département de la Sarre, Ludwig Karl Philipp von Dorsberg, in den Jahren 1806 bis 1813 sowie dessen Bericht über die Anzahl der erlegten Wölfe im Jahr 1813. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 2/46; Kart. 35/16; Kart. 35/19. Demnach gestaltete sich die Wolfsjagd im Département de la Sarre insbesondere im Jahr 1813 mit insgesamt neun getöteten Wölfen besonders erfolgreich. Im Vorjahr konnten lediglich drei Tiere erlegt werden.
[7] Vgl. zu anderen Beispielen im nördlichen Rheinland etwa Dieter Hartwig: Clemens Wenzeslaus Graf von Hoensbroech, (1776–1844). Leutnant der Louveterie im Roerdepartement, in: Heimatbuch Kreis Viersen 64 (2013), 123-140. Die Bestände des Archivs Schloss Dyck bestätigen diesen Befund auch über das nördliche Rheinland hinaus. Siehe hierzu sowohl den bereits erwähnten Briefwechsel mit Ludwig Karl Philipp von Dorsberg (wie Anm. 6), sowie jenen mit Max Friedrich Freiherr von Weichs-Glan, Lieutenant de la Louveterie für das Département Rhin et Moselle, sowie Briefe des Freiherrn Max Friedrich von Weichs-Glan, Leutenant der Louveterie Bonn, Bonn, 6. Juni 1806 bis 23. Mai 1807. In: Archiv Schloss Dyck, Korrespondenz, Nr. 33.
[8] Administration générale des forêts, o.O., 1808. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 33/2.
[9] Boosfeld wird nicht namentlich erwähnt, sondern nur unter der Bezeichnung "Monsieur le Souspréfet de Bonn" auf der fünften Seite des Dokuments angeführt.
[10] Vgl. hierzu: Organisation de la Louveterie. In: Archiv Schloss Dyck, Bestand Fürst Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dyck – Kart. 34/20.
[11] Siehe Konzept Joseph zu Salm-Reifferscheidt-Dycks, Paris, 7. März 1806. In: Archiv Schloss Dyck, Korrespondenz Nr. 33.